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Tanz- und Begegnungsraum für hörende und gehörlose Menschen

Tanz- und Begegnungsraum für hörende und gehörlose Menschen

Mein Sohn ging vier Jahre lang in den Integrativen Heilpädagogischen Kindergarten der Caritas Linz. Ein Kindergarten für hörende, hörbeeinträchtige und gehörlose Kinder, wo zwei Sprachen gesprochen bzw. gebärdet werden. Lautsprache und Gebärdensprache. Es ist ein ganz fantastischer Ort, der meiner Familie und mir neue Welten eröffnete. Zum Alltag meines Sohnes zählte, gemeinsam mit hörenden und gehörlosen Kindern groß zu werden. Es gab Kinder mit und ohne „CIs“ (Cochlea-Implantat), wie es Kinder mit und ohne „Hörlis“ – wie es die Kinder meist nannten – (Hörgeräte) gab. Durch das spielerische Erlernen der österreichischen Gebärdensprache wird ein gemeinsamer Kommunikationsraum geschaffen, in dem sich die Kinder auf Augenhöhe begegnen können.

Foto: Caritas OÖ

Foto: Caritas OÖ

Für gehörlose wie für hörende Kinder lässt sich auf allen Ebenen ein Gewinn erzielen. Gebärdensprache basiert viel stärker auf visueller Wahrnehmung komplexer Situationen als es Lautsprachen erfordern und verlangt ein hohes Maß an Sensibilität, Aufmerksamkeit und Augenkontakt zwischen den Kommunikationspartner_innen. Auf emotionaler, kognitiver und sozialer Ebene lernen die Kinder von klein auf aufeinander zu achten, werden visuell-auditiv sensibilisiert, üben die eigenen Emotionen auszudrücken, und die Bedürfnisse aller Beteiligten als gleichwertig anzuerkennen. Der Integrations- und Inklusionsgedanke wird zum gelebten Habitus, der von – hörenden wie gehörlosen – hochqualifizierten elementaren Kindergartenpädagog_innen mitgetragen wird. Es ist ein Ort, der dazu beiträgt, dass sprachliche Barrieren keinen Hinderungsgrund darstellen um in Kommunikation zu treten. 

Erwachsene Gehörlose erleben die Trennung zweier Welten noch viel intensiver als Kinder, die sich in mehrsprachigen Kontexten bewegen. Sie leben inmitten der Welt der Hörenden, in welcher barrierefreie Teilhabe am sozialen, kulturellen und politischen Leben oft erschwert wird, da nur wenige Menschen Gebärdensprache beherrschen bzw. Hörende nicht selten Scheu davor haben in Kommunikation mit Gehörlosen zu treten. Gehörlose Menschen leben in der Welt der Gehörlosen, mit ihrer eigenen Gehörlosenkultur, die als solche anerkannt werden will. Haben Sie gewusst, dass es Gebärdensprach-Dialekte gibt? Tatsächlich variieren die Gebärden von Bundesland zu Bundesland, ja, sind sogar innerhalb von Bundesländern je nach Region verschieden. Man schätzt, dass rund 10000 Menschen in Österreich gehörlos sind, wobei es noch weitaus mehr schwerhörige Menschen oder spätertaubte Menschen gibt. Gebärdensprache ist eine vollwertige, anerkannte Sprache mit eigener Grammatik, die sich von der deutschen Grammatik deutlich unterscheidet. Im Jahr 2005 wurde die österreichische Gebärdensprache als vollwertige Muttersprache in die österreichische Bundesverfassung aufgenommen. Chancengleichhheit und barrierefreier Zugang zum Arbeitsmarkt werden endlich zu gesetzlich einzufordernden Grundrechten.

Mehr unter:
http://www.oegsdv.at/web/gebaerdensprache/
https://gehoerlos-ooe.at

Ich bin fasziniert und berührt von der Gehörlosenkultur, die wirklich alles mit ihrer Sprache auszudrücken vermag und vielleicht sogar noch facettenreicher ist als Lautsprache. Sehen Sie sich doch einmal einen „deaf slam“ an, Gebärdenpoesie. Sie werden staunen. Im vergangenen Sommer besuchte ich beispielsweise „ganymed in love“, ein sehr lebendiges Ausstellungsformat im Kunsthistorischen Museum in Wien. Eine Inszenierung hat mich dabei besonders berührt. Eine Auseinandersetzung mit Caravaccios „Rosenkranzmadonna“, basierend auf einem Text, der die Hände ins Zentrum der Überlegung rückte, gespielt von Menschen, die sich ihres ganzen Körpers, der Lautsprache und der Gebärdensprache bedienten. Ich war tief beeindruckt.

Besuch von „ganymed in love“ im Kunsthistorischen Museum in Wien 2019. Der Text „Die Hände“ von Jean Philippe Toussaint über die Rosenkranzmadonna von Caravaggio, gespielt von Eva Böhm, Max Brandl, Alice Hu, Arun Mariavilasm und Christian Nickel in …

Besuch von „ganymed in love“ im Kunsthistorischen Museum in Wien 2019. Der Text „Die Hände“ von Jean Philippe Toussaint über die Rosenkranzmadonna von Caravaggio, gespielt von Eva Böhm, Max Brandl, Alice Hu, Arun Mariavilasm und Christian Nickel in Lautsprache und Gebärdensprache.

Ich habe begonnen, ein wenig zu recherchieren, welch’ kulturelle, sportliche oder kreative Angebote es in Linz für gehörlose Erwachsene gibt. Wenn die Gehörlosen Communities nicht selbständig ihre Freizeitangebote planen, dann erscheint das Angebot in Linz überschaubar zu sein, wenn auch immer wieder Museumsführungen in Gebärdensprache angeboten werden. Aber vielleicht sollte es da noch mehr geben. Der Gedanke etwas zu entwickeln, ließ mich nicht mehr los. 

Foto: by photosalon  helga, Bettina Traxler

Foto: by photosalon helga, Bettina Traxler

 "Tanz und Gehörlosigkeit/Gebärdensprache sind zwei faszinierende Welten, die verstärkt den Körper als Kommunikationsmittel brauchen. Es ist wunderschön und berührend, Menschen zu sehen wie sie sich beim Tanzen bewegen und ausdrücken. Die Körpersprache lügt nie, sie ist die ehrlichste Ausdrucksform des Menschen. Ich freue mich sehr diese Sprache im TanzRaum aufleben zu lassen, voneinander zu lernen, miteinander zu kommunizieren - über unseren Körper." (Bettina Traxler)

Ich blieb nicht lange alleine mit dieser Idee. Ich habe die wunderbare Tanzpädagogin und Craniosacrale-Praktikerin Bettina Traxler kennengelernt. Eine Frau, die Power und Kontemplation in sich vereint, wie ich es selten erlebt habe. Ihr habe ich immer wieder vorgeschwärmt und unspezifisch dahinfantasiert, wie gerne ich irgendwann und irgendwo etwas ausprobieren möchte, einen Raum, wo sich Hörende und Gehörlose bewegen können, wo sich Menschen verständigen und spüren können, wo man tanzen und sich dabei kennenlernen kann. Bis sie mir dann eines Tages die Nachricht schickte: „Machen wir doch was zusammen.“

Mein Herz hüpfte als ich dies las. Jetzt musste nur noch die Dritte im Bunde gefunden werden. Ein/e Gebärdensprachdolmetscher_in. Ich zog meine ehemalige Gebärdensprachtrainerin zu Rate. Sie hatte sofort die perfekte Person im Kopf. Magdalena Mülleder ist nicht nur ausgebildete Gebärdensprachdolmetscherin, sondern auch elementare Musikpädagogin, spielt Geige und ist Frontfrau der Indie-Pop-Band „Back to felicity“. Während des Corona Lockdowns entwickelte sie gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten das Konzept für das „Grafenauerl“, ein zauberhaftes Jausen-Lokal in Grafenau an der Donau, das seit Juni seine ersten Gäste empfängt. Hinsichtlich meiner Anfrage sagte sie sofort: „Ja“.

Foto: privat, Magdalena Mülleder

Foto: privat, Magdalena Mülleder

 „Eigentlich sollte ein barrierefreier Zugang für Gehörlose auch im tänzerischen und musikalischen Bereich viel selbstverständlicher sein. Es braucht diesbezüglich aber noch mehr Öffentlichkeitsarbeit. Die Teilhabe an der Gesellschaft ist ein Menschenrecht. Ich möchte mit meiner Arbeit und meinem Engagement einen Teil zum Bestehen einer barrierefreien Gesellschaft beitragen.“ (Magdalena Mülleder)

Seit dem ersten Brainstorming ist nun einige Zeit vergangen. Die Idee einen Tanzraum für hörende und gehörlose Menschen anzubieten, nahm langsam Gestalt an. Gemeinsam hatten wir ein Ziel formuliert, wenn auch der Tanzraum für alle Beteiligten Experiment bleibt und im Tun seine eigene Form annehmen darf. Seit März 2020 wurde in der RedSapata Tanzfabrik in der Tabakfabrik Linz getanzt. Ein Ort, an dem wir uneingeschränkt gastfreundschaftlich und herzlich willkommen geheißen wurden. Dann kam Corona. Aber wir geben nicht auf.

Unsere Vision 

Der Tanzraum soll hörenden, hörbeeinträchtigten wie gehörlosen Menschen die Möglichkeit bieten, über die menschverbindenden Elemente des Fühlens und Spürens – auch unabhängig von musikalischer Vibration – in Kontakt mit sich und der Umwelt zu treten. Das Element der Stille spielt eine zentrale Rolle und eröffnet einen neuen Raum der Begegnung. Wir wollen die Möglichkeit eröffnen, sich selbst, seinen Körper ein Stück besser kennen zu lernen, neue Ausdrucksformen zu finden, Hürden zu überwinden und Neues zu wagen. Diese positive Herausforderung gilt für hörende, hörbeeinträchtige wie gehörlose Menschen in gleicher Weise. Wir wollen einen ressourcenorientieren Tanz- und Bewegungsraum anbieten, der die Teilnehmer_innen ganzheitlich stärkt, zu einem verbesserten Körperbewusstsein führt und jenseits von sprachlichen Barrieren einen lebendigen, Berührungsängste abbauenden Dialog aller Teilnehmer_innen stiftet. 

Die Anwesenheit von Magdalena als Gebärdensprachdolmetscherin ermöglicht einen barrierefreien Zugang zu den deutschsprachigen Anleitungen – auf Wunsch auch auf Englisch – und Anweisungen der Tanzpädagogin.

Foto: Magdalena Mülleder

Foto: Magdalena Mülleder

 Inhalte 

  • Der Tanzraum beinhaltet kleine Tanzkombinationen und Übungen aus dem Modernen und Zeitgenössischen Tanz. Er integriert Raum, Dynamik und Bewegungsbewusstsein. Dadurch üben wir präsent zu sein und uns authentisch zu bewegen.

  • Der Mensch mit seinen unmittelbaren Gefühlen steht im Mittelpunkt. Es gibt die Möglichkeit neben gemeinsamen Tanzkombinationen auch die eigenen Emotionen auszudrücken und Kommunikation auf körperlicher Ebene zu erfahren 

  • Mit Augenmerk auf physiologisch gesunde Bewegungsmuster soll mehr Bewegungsfreiheit und generelle Freude an kreativer Bewegung erzielt werden

  • Durch das Wechselspiel aus Führen und Geführt-werden, Nachahmung und Beteiligung durch eigene Impulse, soll das Selbstbewusstsein gestärkt und die persönliche Präsenz im Alltag gefördert werden

 

Wir haben jemanden gefunden, der die Projektträgerschaft für den Tanzraum übernommen hat. Wir sind der Caritas für Menschen mit Behinderungen – im Besonderen der Abteilung Wohnen – sehr dankbar, dass sie uns gegenüber Vertrauen und Experimentierfreudigkeit bewiesen hat. Im März 2020 startete unser Experiment. Drei wunderbare Tanzabende konnten wir bereits durchführen. Corona-bedingt sind wir gegenwärtig auf der Suche nach Raum und Zeit um erneut starten zu können. Sobald wir fündig geworden sind, werden Sie es erfahren. Wer weiß, vielleicht lernen wir uns ja bald persönlich kennen.

Nähere Infos unter:

facebook.com/bewegen.fuehlen.begegnen 

Neuer Tanzraum für Gehörlose und Hörende

hier geht es zum Interview mit der Native Signerin Ying Ni zum Thema Musik und Gehörlosigkeit









 

"Als hätte man die Hand auf die Schulter der Trägerin gelegt."

"Als hätte man die Hand auf die Schulter der Trägerin gelegt."

Alles

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