Ein Laden, in dem Freundschaft spürbar wird
Ich darf einen sehr besonderen Laden in der Waltherstraße, ganz in der Nähe des Linzer Mariendomes betreten. Das Modelabel MASI hat sich dort einen Traum erfüllt: Moderne Strickwaren aus feinsten, fair gehandelten Garnen zu designen und vor Ort zu produzieren. Wie Christina Huber-Prunthaller und Fritz Prunthaller den Spagat zwischen Tradition und Moderne schaffen und wie sie dabei immer noch genügend Zeit haben, um ihren Kund_innen zuzuhören, erfahren Sie, wenn Sie neugierig geworden sind und weiterlesen möchten.
MASI bedeutet übrigens „Freund, Kamerad, Weggefährte“ in der Aymara Sprache. Aymara ist heute eine der am meist gesprochenen, indigenen Sprachen Südamerikas. Dass hierbei eine ganz besondere Beziehung zwischen dem Unternehmerpaar Christina Huber-Prunthaller und Fritz Prunthaller und dem weit entfernten Kontinent bestehen muss, lässt sich unschwer erahnen. Ich öffne die Tür und ein leises Glockengeräusch, wie ein Windspiel hoch oben in den peruanischen Anden, ertönt. Ich mag dieses Geräusch. Ein Signal dafür, dass ein Gast den Raum betritt. Und wie man sich in diesem Laden als willkommener Gast begrüßt fühlt.
“Christina ist die Seele des Ladens”
MASI – inspired by joy for creation – ist wahrlich ein Ort an dem Schöpfergeist in der Luft liegt. Ein Ort, an dem getüftelt, designed, produziert, anprobiert und geplaudert werden kann. Ein von Buntheit, Vielfalt und Wärme durchflutetes Atelier und man wird von Christina, „der Seele des Ladens“, wie Fritz sie nennt, mit einem strahlenden Lächeln begrüßt. Fritz kommt vom hintersten Zimmer hervor, dort, wo die großen und schweren Maschinen stehen, deren „Sprache“ Fritz gelernt hat zu sprechen. Eigentlich lässt Fritz sich nicht so gerne sehen hinter der Theke, und schon gar nicht gerne fotografieren. Eigentlich wollte er nur ganz kurze zehn Minuten beim heutigen Gespräch dabei sein, doch es sollte anders kommen. Es gibt Kuchen von „meiner“ Frau Monika vom Bäcker um die Ecke, duftenden Kaffee und die gedankliche Zeitreise beginnt.
„Ich habe nicht einmal gewusst wie man eine Nähmaschine einschaltet.“
Christina Huber-Prunthaller und Fritz Prunthaller sind echte „Quereinsteiger“, wie ich erfahren werde. „Ich habe nicht einmal gewusst wie man eine Nähmaschine einschaltet“, gesteht mir Christina. Die studierte Betriebswirtin Christina arbeitet in einer Wiener Werbeagentur und der gelernte Starkstromtechniker und damals noch Automatisierungstechnikstudent Fritz, der kurz vorm Abschluss schon ziemlich die Nase voll hatte von allem, beschließen gemeinsam ihre Jobs an den Nagel zu hängen. „Fritz wollte sich die Welt anschauen“, resümiert Christina. Diese wagemutige Entscheidung, alle Sicherheiten über Bord zu werfen und aufzubrechen in fremde Gefilde, lässt sich heute rückblickend als Initialzündung für die Gründung von MASI lesen.
Damals verschlägt es die beiden zunächst 3,5 Monate nach Südostasien, danach nach Südamerika, ein paar Wochen Peru um dann weiter zu reisen nach Bolivien. In der Hauptstadt Sucre beschließen die beiden sich für ein Volunteering Programm zu melden. Sie erleben die nackte Armut Boliviens am eigenen Leibe, als sie in einer Betreuungs- und Bildungseinrichtung für Kinder mitarbeiten. 100 Kinder mit zwei Erzieherinnen, Lehmböden, kaum sanitäre Anlagen, zwei Tische und schmutzige Matratzen, Kinder, deren Eltern sich keine EUR 2,50 im Monat leisten können, damit die Kinder Essen und Trinken bekommen. Christina und Fritz steht die Betroffenheit ins Gesicht geschrieben. Für die beiden war damals klar: „Machen wir doch was!“ Sie starten einen Reiseblog und rufen zu Spendenaktionen auf, um den Kindern kurze, kostbare Momente schenken zu können. Sie fahren mit ihnen Taxi, feiern Feste, organisieren Ausflüge doch vor allem können sie ihnen Aufmerksamkeit schenken. Als in Bolivien die kalte Jahreszeit anbricht, sieht Christina immer wieder Frauen in Alpaka Stolas gehüllt und sie wusste: „So was brauche ich auch.“ Mit mehreren Alpaka Stolas im Gepäck und unzähligen Erfahrungen im Herzen brechen die beiden nach einem weiteren halben Jahr auf um in der Heimat wieder Fuß zu fassen.
„Das können wir auch!“
Die Nachfrage nach fair gehandelten Alpaka Produkten war damals im privaten Umfeld gegeben und so entstand ein erster kleiner Vertrieb in Österreich. Mit dem beruflichen Wiedereinstieg will es jedoch nicht klappen und die Gründeridee von MASI liegt bereits in der Luft. Fair und freundschaftlich soll das Verhältnis zwischen Auftraggeber_innen, Produzent_innen und Kund_innen sein. Doch die bolivianische Ästhetik wie Zeittaktung korrespondieren irgendwann nicht mehr mit den Vorstellungen österreichischer Kund_innen. Christina und Fritz beschließen: „Das können wir auch“. Schritt für Schritt beginnen sie Schnitte zu zeichnen, eine Handstrickmaschine wird angeschafft, obwohl keiner der Beiden jemals stricken gelernt hatte und es wird geübt und geübt, so lange bis die Nerven richtig blank lagen. Was sie gerettet hat? Eine Wette abzuschließen. „Bis zum Webermarkt schaffen wir einen Pulli“, so Fritz. Und siehe da, der Pulli wird fertig und die Arbeitstage der beiden beginnen plötzlich um sechs Uhr morgens und enden spät in der Nacht, denn die ersten Einzelanfertigungen für bedeutende Firmen wollen gefertigt werden.
„Immer so tun als ob man groß wäre.“
Gelebt, getüftelt und gearbeitet wird in den eigenen vier Wänden und im Kontakt mit Kund_innen wissen sie sich zu behaupten. Ihre Devise, und Fritz grinst schelmisch dabei: „Immer so tun als ob man groß wäre.“ Wenn Großkunden ihre Produkte sehen wollen und sich ankündigen, kommt Christina ihnen freundlich zuvor: „Wir kommen gerne zu ihnen.“ Denn bis zum eigenen Atelier ist es noch ein weiter Weg. Sie stellen bei der bedeutenden Modemessen CPM in Moskau ihre Mode aus und leben in diesen Tagen wieder von einigen Euros am Tag. Während sich Kolleg_innen mit teuren Hotels und Taxifahrten verausgaben, leben die beiden in Jugendherbergen und fahren mit der U-Bahn. „Wir haben schon so einfach gelebt und haben gelernt bescheiden zu leben“, betont Fritz. Plötzlich wird ein bedeutender Großkunde, die Firma Fogal, auf MASI aufmerksam und lässt fragen, ob sie auch in größeren Auflagen produzieren? Wie lautet wohl die Antwort von Fritz und Christina? „Aber natürlich“, so die beiden und müssen dabei richtig lachen ob ihrer eigene Unerschrockenheit.
„Wir standen kurz vor dem Burn-out.“
Von diesem Zeitpunkt an kann man MASI Produkte in Boutiquen auf der halben Welt finden. Christina erzählt mir von einem ganz besonderen Erlebnis als Fritz und sie auf Urlaub in Hongkong waren und sie plötzlich im Schaufenster eines Shops einen MASI Pulli entdeckte. „Das war so ein schöner Moment. Ich habe den Pulli gesehen und wusste, dass ich ihn in meinem eigenen Wohnzimmer gestrickt habe“, so Christina. Die Aufträge werden mehr und der Platz immer weniger.
„Wir standen echt kurz vorm Burn-out“, so Fritz. Kurz darauf erfahren sie, dass es auch gebrauchte Stoll Strickmaschinen gibt. „Die kosteten uns natürlich eine Lawine“, so Fritz, aber mit den Handstrickmaschinen konnten sie die Nachfrage ihrer Kund_innen einfach nicht mehr befriedigen. So werden zwei Maschinen bestellt, obwohl es noch keinen Raum dafür gibt. Christina und Fritz erzählen mir die abenteuerliche Geschichte, wie die Maschinen dann doch noch den Weg in die Waltherstraße gefunden haben. Mit dem Maßband ausgerüstet, radeln die beiden durch die Stadt um leerstehende Räume ausfindig zu machen, deren Türen auch groß genug sind, damit die Maschinen durchpassen. Der Laden in der Waltherstraße war ein echter Glücksgriff, denn links und rechts von der Tür gab es tatsächlich einen Zentimeter Spielraum. Am Tag der Anlieferung wäre der LKW beinahe wieder nach Hause gefahren, denn wegen Baustellenarbeiten, die in Linz ja nicht selten vorkommen, gibt es ohne Stapler keine Möglichkeit die Stoll Maschinen abzusetzen. „Wo sollte ich denn jetzt einen Stapler hernehmen?“, erinnert sich Fritz und schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. Wie es der Zufall will, gibt es einen spontan ausleihbaren Gabelstapler in der Nähe der Waltherstraße und seit diesem Zeitpunkt stehen die Maschinen an ihrem Platz.
„Wir haben MASI gegründet, als alle anderen zumachten.“
Der kleine Laden in der Waltherstraße bleibt nicht unbemerkt. Immer mehr Kund_innen fühlen sich angesprochen von den hochwertigen, fair gehandelten Garnen, den leuchtenden Farben und der aufrichtigen Gastfreundschaft von Christina und Fritz. Fritz kümmert sich seither um die Produktion und Christina übernimmt die Endfertigung, für die es immer noch die Handarbeit des „Kettelns“ braucht, damit die perfekt sitzenden Bündchen entstehen können. „Wir haben damals MASI gegründet, als alle anderen zumachten“, so Fritz. „Man muss aber auf sein Bauchgefühl hören und nicht zu viel denken. Hätte ich damals schon stricken gekonnt, hätte sich Vieles anders entwickelt. Dann hätte man mehr so gearbeitet, wie es sich gehört hätte. Wir hätten uns nicht so ausprobieren können. Mit einer reinen Kosten-Nutzen-Rechnung zu beginnen ist Blödsinn“, resümiert Christina. Für Christina ist klar, „MASI hat uns entwickelt!“ Auf die Frage hin ob MASI politisch sei, entgegnet mir Christina: „Unpolitisch können wir gar nicht sein.“ Seit 2015 steht mit „MASI takes care“ ein Schal als Symbol für die weltumspannenden Menschheitsverstrickungen im Fokus. Der Reinerlös geht dabei an die Aktion „Dach über den Kopf“ von SOS Menschenrechte.
„Wenn du mir vor zehn Jahren gesagt hättest, ich würde Unternehmerin sein, dann hätte ich nur dazu gelacht“, so Christina. Christina ist nicht nur Unternehmerin, sondern Mutter zweier Kinder, die beide in MASI groß geworden sind. Eine wahre Herausforderung stellte weniger die Vereinbarung von Mutter-Sein/Vater-Sein und Berufstätigkeit dar, sondern mehr die inneren Stimmen, die laut werden und fragen: „Tut man das als Mutter?“ Für Christina war klar, dass sie ihren Kindern nie ein Modell vorleben wollte, das Abhängigkeiten für die ein oder die andere Seite bedeutet hätten und so waren es ganz wunderbare Jahre, denn die ersten 10 Monate hatte ihr kleiner Sohn und später ihre zweite Tochter – „wenn ehrlicherweise ein zweites Kind doch nicht mehr so leicht mitläuft“, so Christina –die Möglichkeit, Mutter und Vater zu gleichen Teilen erleben zu können. Und weil sich Christina und Fritz nun doch selber erlauben, auch einmal ihrer Leidenschaft, dem Reisen und Entdecken nachzukommen, werden sie seit 2013 von dem Allround-Talent Mareen Grünsteidl unterstützt, die vor und hinter der Theke genau weiß, wie MASI funktioniert.
Auf die Frage hin, wie sie sich als Team ergänzen, wissen die beiden die unterschiedlichen Stärken des Anderen sehr zu schätzen. „Fritz ist der Visionär und ich habe ein größeres Sicherheitsbedürfnis, bremse immer wieder Mal runter. Die Mischung macht es bei uns sicherlich aus“, reflektiert Christina. „Viele Kund_innen kommen wegen Christina. Mit MASI bekommst du das Gesamtpaket geliefert“, so Fritz. Zu ihren Stammkund_innen zählen Mitte 30jährige junge Frauen, die individuelles Design suchen, regional, fair und umweltschonend produzierte Produkte hochschätzen, bis 80jährige Damen, die sich irrsinnig freuen, dass es noch glattgestrickte Röcke in Merinowolle zu kaufen gibt. Die Kund_innen suchen unverwechselbare Produkte. Im Wissen, dass Christina und Fritz schon viele Herzenswünsche erfüllte haben, schätzen viele Kundin_innen MASI als Begegnungsraum, wo man Zeit geschenkt bekommt, wo man gehört und gesehen wird. „Das Feedback ist ganz dicht und direkt und das schätzen wir sehr, betont Fritz.“
„Ich höre wirklich gerne zu.“
Christina vertraut mir an, dass sie eigentlich immer Psychologie studieren wollte, dann aber BWL wählte, und dabei muss sie selber schmunzeln. „MASI ist ein intimer und geschützter Raum für Begegnung. Ich höre wirklich gerne zu“, erzählt mir Christina. Mit MASI erfüllt sich eine tiefe Sehnsucht, denn Christina hat aufrichtiges Interesse an den Lebensgeschichten ihrer Kund_innen, von denen sie sich selbst reich beschenkt fühlt und viele von ihnen sind mittlerweile zu echten Freund_innen geworden. Für Fritz und Christina ist klar geworden, dass die Qualität von MASI von der Qualität der Beziehungen abhängt und diese ungeteilte Aufmerksamkeit möchten sie gewährleisten können, so denken die Beiden gar nicht daran, zu expandieren.
Und weil es so eine schöne und aufregende Erfahrung war, möchte ich sehr gerne von der letzten MASI Kollektion erzählen. Dabei durfte ich die Ideengeberin, Michaela Riess aka Zoe Goldstein Photografie, kennenlernen. Die MASI Kollektion 2019/20 ist eine Hommage an Madame d’Ora und an die 20er Jahre. Die Jüdin Dora Kalmuss eröffnet 1907 als eine der ersten Frauen Wiens ein eigenes Fotoatelier. Besonders Frauen taucht sie in ein ganz besonderes Licht. Ähnliches gelang auch Zoe Goldstein, indem sie Linzer Frauen aus den Bereichen, Kunst, Kultur und Gesellschaft in die aktuellen Modelle schlüpfen ließ. (→ nachzulesen im Blogbeitrag Zoe Goldstein Photography)
Mehr über die Strickerei MASI wie über die Fotografiekünstlerin Zoe Goldstein finden Sie hier:
→ MASI
→ Zoe Goldstein
Christina in der Schnellantwortrunde
Wann hüpft dein Herz?
”Für meine Kinder, für meine Kund_innen, die Freude mit uns haben.”
Was berührt dich derartig, dass du es bis in die Zehenspitzen spürst?
“Wir sind jährlich bei einer Modemesse in Stuttgart und jedes Mal kommt eine Frau um mich zu sehen. Sei freut sich immer so sehr darüber, wenn wir kurz plaudern können. Einmal bin ich mit einem Sackerl voller Geschenke von ihr nach Hause gefahren. Das sind solche Überraschungen und schöne Begegnungen.”
Wann wirst du ganz still?
“Wenn ich Zeit für mich brauche.”
Wofür lohnt es sich zu kämpfen?
“Für Gerechtigkeit, die eigenen Leidenschaften und Überzeugungen.”
Was ist dir heilig?
“Zeit mit meinen Kindern, Urlaub.”
Ist dir schon einmal ein Wunder begegnet?
“Sicher ganz oft. In den alltäglichen Dingen des Lebens.”
Deine Wunder-Definition?
“Die passieren ganz oft.”
Ich bedanke mich bei Christina und Fritz für dieses wunderbare Gespräch.