DIE BETRACHTERIN - Texte der ersten Runde. Mosaik unterhalb des Grundsteinlegungsfensters
Marienpfenninge für den Bau des Linzer Doms
Marienpfennige für den Bau des Linzer Domes Im großen Bildfenster versammeln sich neben Bischof Rudigier, dem Dombaumeister Vinzenz Statz und der Familie von Bischof Hittmair Männer aus Klerus, Politik und Militär. Die Feiergemeinde sollte die Stände des Landes Oberösterreich repräsentieren, wobei der Großteil der Bevölkerung aus Landwirtschaft, Handwerk oder Industrie nicht vertreten ist. Umso spannender erscheint hier ein Blick auf das Mosaik, das eine ländlich gekleidete Frau mit Schaufel in der Hand zeigt, die mit dem Portrait von Crescentia Dobretsberger dem Stand städtischer Unternehmer*innen zuzuordnen ist. Viele Frauen standen im Erwerbsleben (1890 Frauenquote von 42,9 %). Damit entsprachen sie nicht dem bürgerlichen Ideal der Hausfrau und Mutter, wie es seitens der Kirche u. a. in der Zeitschrift „Ave Maria! Illustrierte Monatshefte zur Erbauung, Belehrung und Unterhaltung“ propagiert wurde. Die Berufstätigkeit der Frau, besonders jene in Fabriken, wurde von gewissen katholischen Kreisen als Gefährdung der Sittlichkeit und des Seelenheils betrachtet. Bischof Rudigiers Wunsch folgend, sollte der Bau von freiwilligen Spenden getragen werden. Der Hauptanteil des Geldes stammte aus den gespendeten „Marienpfennigen“ der vorwiegend ländlichen Bevölkerung. Die Opferfreudigkeit der Gläubigen war groß und so stieg die Mitgliederzahl rasch auf fast 100.000 Personen in ganz Oberösterreich an. Neben Bargeld wurden verschiedene Wertgegenstände wie Gold- und Silbergeschmeide, Uhren, Armbänder, Ringe, Dosen, Kettchen und Goldhauben gespendet. Auch wohlhabende Frauen, vor allem des Bürgertums, trugen so in materieller Hinsicht zum Bau des Domes bei.
Gabriele Kiesenhofer, Absolventin der Kunstwissenschaft, KU Linz Leiterin des Dekanates Altenfelden der Katholischen Frauenbewegung
Brief an die Vorfahrin
Liebe Crescentia, gestern habe ich mit Allegra, Deiner Ur-Ur-Ur-Enkelin, Dein Mosaik im Dom betrachtet. Wir wollten Dich näher kennenlernen und mehr über Dich erfahren, als dass Du 1838 als uneheliches Kind von Deiner Mutter alleinerziehend großgezogen wurdest und so sicher einen schweren Start ins Leben hattest. Bei Deiner Hochzeit mit dem Schneidermeister Johann Dobretsberger hast Du bestimmt nicht geahnt, dass Du 1894 die erste Bestatterin in der Familie Dobretsberger sein wirst und ein Familienunternehmen begründest, das mittlerweile in fünfter Generation von Deinem Ur-Ur-Enkel Martin und mir geführt wird. Andererseits wundert es mich nicht, wirst Du doch als selbstwirksame, eigenständige Frau dargestellt, die engagiert und kraftvoll anpackt, die freudig gestaltet und etwas bewegt. Es beeindruckt und freut mich ganz besonders, wie Du mit hochgekrempelten Ärmeln mit den üblichen klischeehaften Darstellungen der frommen, demütigen und passiven Frau brichst! In der Natur des Mosaiks liegt es, dass es für das große Ganze jeden einzelnen Stein braucht, und so stehst Du für die vielen Frauen, die durch ihr eigenes Wirken den Dombau mitermöglicht haben. Für mich bist Du eine Mutmacherin für Frauen, die etwas bewirken wollen, die ihre Ärmel hochkrempeln und sich frei von Rollenbildern entfalten und einbringen, wenn es sein muss mit Spaten und Spitzhacke. Chapeau! Du warst und bist eine echte Powerfrau und ein Vorbild – damals wie heute!
Deine Julia & Deine Ur-Ur-Ur-Enkelin Allegra
Julia Dobretsberger, Bestattungsunternehmerin Linz
Frauen machen Kirche
Die Frau legt beim Dombau mit Hand an. Schweißtreibend bearbeitet sie zusammen mit dem Mann – er am Pferd mit Pflug, sie mit der Schaufel – den Acker als Fundament und Nährboden, auf dem die Kirche fest steht, wachsen und gedeihen kann. Auf den konkreten Alltag der 1910er- und 1920-Jahre gewendet bedeutet das: Frauen engagierten sich in vielen Lebensbereichen, um diese christlich zu durchformen. In der Familie erzogen sie Mann und Kinder nach christlichen Werten. In der Gesellschaft setzten sie sich ihren Möglichkeiten entsprechend für Arme und Kranke, verwundete Soldaten, für Frauen, Witwen und Waisen ein. Sie organisierten Kleidersammlungen, richteten Nähstuben ein, schufen Mädchen- und Frauenschulen, führten Geschenkaktionen durch, richteten Ferienlager aus. Sie betätigten sich in Vereinen und Verbänden – beim Roten Kreuz oder in der Katholischen Frauenorganisation. Einige wenige engagierten sich sogar politisch bis auf Bundesratsebene und traten durch Presse- und Schriftstellerinnenarbeit hervor. Für die Ausstattung von Kirchengebäuden, aber auch für die Priesterbildung sammelten sie Spenden. Auf diese Weise wirkten sie am Aufbau des Reiches Gottes mit, das– damals wie heute – im Hier und Jetzt überall dort anbricht, wo Menschen in der Familie, bei der Arbeit und im Ehrenamt im Sinne Jesu handeln, wo sie gut für sich selbst und die Nächsten sorgen, sich selbst vervollkommnen, einander beistehen, sich gegenseitig korrigieren und erziehen. Sie errichteten die Kirche als Gemeinschaft mit, in der der Dom ‚nur‘ die zu Stein gewordene Kirche ist, in der man sich versammelt und betet. Und heute? Wo ist unser Platz? Wo bauen wir nach unseren Möglichkeiten an der Kirche mit?
Ines Weber, Professorin für Kirchengeschichte, Katholische Privat-Universität Linz