"Als hätte man die Hand auf die Schulter der Trägerin gelegt."
Ich bin zu Gast bei der Siebdruckkünstlerin Cécile Belmont. In ihrem Atelier am Linzer Römerberg fertigt sie „emotional clothes“, tüftelt an Ideen für ihre nächste „letter performance“ und übt sich in „wilden stickereien.“ Ihre Kunst erzählt von der Heiterkeit und Flüchtigkeit des Moments wie von den ganz großen Gefühlen menschlichen Aufgespannt-Seins zwischen Leben und Tod, Höhenflügen und Tiefgängen, Liebe und Leid. Ich bin zutiefst fasziniert von ihren Versuchen Leben „er-tragbar“ zu machen. Wenn auch Sie neugierig geworden sind auf die Künstlerin Cécile, dann müssen Sie unbedingt weiterlesen.
Ich erkunde heute den Römerberg und staune, welch kontrastreiches Erscheinungsbild sich mir bietet. Putzige, alte Häuschen mit wilden und wunderschönen Gärten und neue Häuser mit großen Glasfronten stehen dort Tür an Tür. Und inmitten dieser interessanten Assemblage steht im Dörfl 3 das Egon-Hofmann-Atelierhaus, welches schon seit über 60 Jahren Künstlerinnen und Künstlern Atelier-Räumlichkeiten zur Verfügung stellt. Ich bin zu Gast bei der Textilkünstlerin Cécile Belmont, eine Frau, die an der Schnittstelle zwischen angewandter und Bildender Kunst, den Siebdruck für sich entdeckt hat. Ich bin etwas zu früh dran, sitze noch auf der Treppe und bestaune den Garten, als Cécile um die Ecke biegt. Sie hat heute mit ihrem Sohn und ihrem Mann in ihrem geliebten Wohnmobil am Hafen übernachtet. Wir betreten gemeinsam das sonnendurchflutete Haus und Cécile öffnet mir die Tür zu ihrem Atelier.
„Jedes Motiv hat einen Grund“
Ein schlichter und freundlicher Raum voller Farben, Bildern, Fotografien ihrer Arbeiten. Stoffe, Skizzen, erste Schablonen für die nächsten T-Shirts und Kleider, die am Entstehen sind, zieren den Raum. Ein einladender Raum und so nehme ich bei einer Tasse Tee Platz um mir von den „emotional clothes“, den „wilden Stickereien“ und den „letter performances“ erzählen zu lassen. Cécile ist Textilkünstlerin geworden, weil sie schon immer „die Hände voll Farben haben“ und am Ende des Tages ein „Resultat“ begutachten wollte, so Cécile.
Im Zentrum ihres Schaffens, ob im öffentlichen Raum, in Ausstellungen oder in die Alltagswirklichkeit der Menschen hineinwirkend, bleibt es stets der Stoff, von dem aus sich alles „nährt“ und bei dem die Fäden wieder zusammenlaufen. Es sind wunderschöne Unikate, die direkt vor meiner Nase auf Kleiderhaken hängen und darauf warten, Träger_innen zu finden, in deren Lebenswelt sie präsent sein dürfen. Es sind Vögel, die zum Flug ansetzen, buntes Konfetti auf weißen Blusen, Szenen aus großen Kinofilmen, die einem im Augenblick des Betrachtens einen tiefen Seufzer abringen, erzählen diese doch von nichts weniger als von Liebe, Leidenschaft, Sehnsucht, Tod und Trauer. „Jedes Motiv hat einen Grund“, so Cécile. Sie nimmt einen schlichten, schwarzen Rock mit bunten Vögeln im Flug in die Hand und stellt die Frage in den Raum, ob wir das nicht alle manchmal brauchen, einen kräftigen Windstoß, der uns das Abheben erleichtert. Es gehe ihr nicht darum, dass Kleidungsstücke „einfach nur schön sind“, sie sind „mehr als nur schön“, weil die Botschaften Unaussprechliches sichtbar machen, indem der bedruckte Stoff und der Körper der Träger_innen zu dem einen Medium werden und tiefste Emotionen, Sehnsüchte und Gedanken plötzlich mitten im öffentlichen Raum stehen. Und Cécile lächelt und stellt die Frage: „Was macht das mit den Menschen, wenn du plötzlich mit emotionaler Kleidung in der U-Bahn stehst? Wenn du deine Emotionen zeigst, ohne etwas dabei zu sagen?“
„Wie kann man im Leben der Menschen performativ wirksam sein?“
Mir scheint es, als konfrontiere die Trägerin, der Träger die Mitwelt auf sehr charmante Art und Weise damit, ein berührbares und berührtes Lebewesen zu sein. Ein Mensch aus Fleisch und Blut, Verstand und Herz. Ein Mensch, der manchmal vor Freude im Regen aus Konfetti tanzen möchte und manchmal vor Stolz und Leichtigkeit abheben möchte.
Im Zentrum Céciles künstlerischen Schaffens steht die große Frage: „Wie kann ich im Alltag der Menschen performativ wirksam sein?“ Und punktuell mittels des Mediums der Kleidung eine intensivere Beziehung zu sich und seinen Emotionen herstellen zu können, scheint mir eine sehr schöne und zärtliche Form der Anteilnahme. „Als hätte man ein wenig die Hand auf die Schulter der Träger_innen gelegt“, so Cécile. Ganz begierig bin ich in diesem Moment, einen Blick auf ein Kleid zu werfen, das in bunten Farben ein Zitat der Aktivistin Emma Goldman ziert, doch wird dieses Kleid nicht mehr hergestellt, und so darf ich eine Fotografie bestaunen. Sie zeigt eine junge Frau, die durch die Menge schreitet, mit einem schnörkellosen weißen Kleid, auf dem in bunten Lettern steht:
„I want freedom, the right to self-expression, everybody’s right to beautiful, radiant things.“ (Emma Goldman)
Cécile mag die Kontraste zwischen „leise und laut, fragilen, schutzlosen Körpern und dennoch so entschlossener Sprache“. Ich betrachte noch eine Weile das Bild und frage mich, wie es wäre mit genau diesem Kleid durch die Straßen von Linz zu flanieren. Cécile schätzt die Unmittelbarkeit des Feedbacks auf ihre emotionale Kleidung. Die Menschen können gar nicht anders, als hinzusehen und neugierig zu sein. Sehr berührend schildert sie mir Erzählungen von Menschen, die ihr oft Jahre später Rückmeldung auf ihre Erfahrungen mit den Kleidern geben. So hatte sich eine Belgierin ein Kleid von Cécile für ihre Hochzeit gewünscht, welches sie nun jedes Jahr zum Hochzeitstag wieder überstreift. Eine andere Dame besuchte eine Ausstellung in Kassel, die den Titel: „Farbe bekennen“ trug. Die Frau hatte kurz zuvor ihren Mann verloren und ging nur mehr in schwarz gehüllt ihrer Wege, bis sie auf Céciles Tisch Kleider mit dicken, bunten Balken entdeckte. An diesem Tag hatte sie sich wieder für Buntheit entschieden.
„Oft sind es ganz andere Gründe als die eigenen mitzumachen.“
Ich kann Céciles Rührung spüren, als mein Blick von Fotografien an der Wand angezogen wird, die Frauen mit einem übermäßig großen Papier zeigen, auf dem in großen, dicken Buchstaben das Wort „Glück“ geschrieben steht. Eine der vielen partizipativen Projekte, die Cécile bereits auf der halben Welt mit unterschiedlichsten Menschen initiiert hat. Die Fotos an der Wand zeigen afghanische Frauen, die sich einmal wöchentlich im Franckviertel treffen, um gemeinsam zu reden, zu lernen, sich auszutauschen. Cécile wurde angefragt, mit den Frauen zu arbeiten, etwas mit ihnen zu entwickeln und hat dabei viel Zeit mit ihnen verbracht. „Denn es braucht viel Zeit, damit das Vertrauen wachsen kann“, so Cécile. „Die Frauen haben natürlich auch ganz andere Sorgen, als sich zunächst mit Kunst zu beschäftigen“. „Oft sind es ganz andere Gründe als die eigenen mitzumachen. Das muss man mit sich vereinbaren.“ Doch sie machten sich auf eine gemeinsame Suche nach Sehnsuchts-Wörtern und Hoffnungs-Gedanken. Cécile gibt den Frauen ein übergroßes Papier in die Hand und sieht zu, was die Frauen damit machen. Ein Prozess der Selbstermächtigung entsteht und plötzlich gelangen die Frauen an den Punkt, an dem es wirklich ihr Projekt wird. „Glück“, ein Wort, ein Bild, eine Fotografie oder ein Plakat, das verweilen soll. So ist Cécile stets daran gelegen, den Menschen noch etwas in die Hand geben zu können, an dem sie sich festhalten können, etwas, das an das sich „gegenseitige Beschenken“ erinnert, betont Cécile mit Nachdruck. „Das, was bleibt, muss Sinn haben. Das ist sehr wichtig.“ Oft sind es schöne Postkarten, oft sind es Fotografien. „Fotografien sind so schön, weil man jede einzelne Person anschauen kann“. „Und schöne Postkarten hängt man sich auch auf den Kühlschrank. Da bin ich sehr stolz, wenn ich am Kühlschrank präsent sein darf, mitten im Alltag der Menschen“, so Cécile. Ob sie einmal in einem Kirchenraum arbeiten möchte, bin ich gespannt zu erfahren. „Eine kollektive Stickerei wäre eine schöne Sache, da es so schön mit Vorderseite, Rückseite, Sichtbarkeit und Unsichtbarkeit spielt.“ Obwohl ich selbst nicht sticken kann, freue ich mich auf den Moment einer Versammlung von Sticker_innen in einem Kirchenraum dabei zusehen zu dürfen. Welche Motive dabei wohl entstehen werden?
Cécile zeigt mir noch viele Fotografien von „letter performances“, die sie in Argentinien, Asien, Kanada und Frankreich durchgeführt hat. Besonders die Zeit in Argentinien hat Spuren hinterlassen. Vier Jahre hat sie dort verbracht und eine völlig andere Realität erlebt. „Von der Stadt kann man dort nicht viel erwarten, und so machen sich die Menschen Vieles selbst. Ohne romantisieren zu wollen, aber die Menschen haben ein starkes Gemeinschaftsgefühl“, so Cécile. Vieles davon spiegelt sich in ihrer Kunst, den gewählten Materialien und Techniken wider, die häufig von einer eleganten Schlichtheit und Reduktion zeugen. „Man lernt damit zu arbeiten, was man gerade hat.“ Natürlich bin ich sehr neugierig darauf zu erfahren, wie sich denn das Leben in Linz anfühlt. „Wenn auch die Umstellung von Berlin auf Linz eine große war, so ist Linz eine sehr freundliche Stadt. Man begegnet sich auf Augenhöhe. Linz ist eine pragmatische Stadt und vielleicht irgendwie uncool, aber gerade deswegen wieder cool.“ Cécile schmunzelt. „Ich mag die Geschichte der Stadt Linz als Industriestadt.“ Und manchmal, wenn es Cécile zu eng hier wird, dann muss sie für kurze Zeit erneut das Weite suchen. Sie war an so vielen Orten der Welt zu Hause, dass ein bisschen Fernweh sich nicht nur in ihre Kunst, sondern in ihre Art zu denken, zu fühlen und zu leben eingeschrieben haben muss.
Cécile in der Schnellantworterunde:
Was ist Dir „heilig?
“Zwischenmenschlichkeit, Respekt, Würde”
Wofür brennst du leidenschaftlich?
“Für Menschen, mit all ihren Eigenartigkeiten. Momente, die so fragil sind, dass man das Gefühl hat, etwas steht an der Kippe und man weiß jetzt nicht, was im nächsten Moment kommt. Das ist Lebendigkeit.”
Kennst du das Kind in dir?
“Ja, es bedeutet neugierig zu sein, alles Fragen zu dürfen, alles verstehen zu wollen. Mit den eigenen Kindern kann man so Vieles sehen. Wenn man zum Beispiel im Restaurant ist und das Kind so gerne in die Küche gehen möchte, um zu sehen, was da passiert und um zu fragen, wie alles entsteht. Wie schön, hier gemeinsam neugierig sein zu können.”
Wann wirst du ganz still?
“Wenn ich Pausen benötige. Wenn zu viele Menschen um mich herum sind. Nach intensiven Begegnungs- und Arbeitszeiten. Dann, wenn ich nicht mehr offen bin, nicht mehr reden mag. Wenn das Leben plötzlich zu viel ist.”
Wann wirst du richtig zornig?
“Wenn andere Personen kein Verständnis für eine Idee aufbringen und plötzlich arrogant werden. Wenn ich das Gefühl habe, von genau dieser Person, in diesem Moment abhängig zu sein. Dann werde ich zornig. In dieser einen Situation, bei diesem unwichtigen kleinen Spiel, bin ich aber nicht gegangen.”
Wann bist du zu Tränen gerührt?
“Angesichts der Erinnerungen an meine Großeltern, dass sie nun älter werden, dass sie sterblich sind.”
Ist dir schon Mal ein Wunder begegnet?
(Überlegt lange und schmunzelt in sich hinein)
”Wenn ich an diese Verkettungen des Lebens denke, die mich jetzt hier sein lassen. Das ist wunderbar. Hätte ich vor vielen Jahren nicht zufällig auf eine E-Mail geantwortet, wäre nicht zufällig von einer Freundin auf ein Projekt aufmerksam gemacht worden, dann hätte ich Norbert nicht kennen gelernt, hätte heute nicht mein Kind.”
Mehr über die Künstlerin: Cécile Belmont
Letter am Steinplatz
Liebe Cécile, ich bedanke mich sehr für den Besuch in deinem Atelier und das schöne Gespräch.