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Kannst du es fühlen?

Kannst du es fühlen?

Gemeinsam mit zwei Schülerinnen der HLW Freistadt, die ihre Abschlussarbeit mit dem Titel „Wir hören, was sie fühlen!“, eine Auseinandersetzung mit dem Thema „Musik und Gehörlosigkeit“ schreiben, durfte ich - vor Corona - ein Interview mit Ying Ni, einer gehörlosen Gebärdensprachtrainerin im Integrativen und Heilpädagogischen Kindergarten der Caritas Linz führen. Unterstützt wurden wir von der Gebärdensprachdolmetscherin Magdalena Mülleder. Ich persönlich bin neugierig darauf, was Ying von der Idee hält, einen Tanzraum für hörende und gehörlose Menschen anzubieten.  

Foto: Caritas OÖ

Foto: Caritas OÖ

Den ersten Teil des Interviews führten die Schülerinnen Johanna Blaha und Lisa Hinum. Mit freundlicher Zustimmung, darf ich den LeserInnen Auszüge des Interviews zugänglich machen.

 

 Magst du Musik?
Ja, auf jeden Fall. Es kommt aber auf den Musikstil an. Mit klassischer Musik kann ich beispielsweise nicht so viel anfangen. Ich bevorzuge Musik mit mehr Bass, wo ich über Lautsprecher die Musik auch spüren kann. Wobei Techno-Musik wiederum nicht zu meinen Favoriten zählt, aber grundsätzlich mag ich unterschiedliche Musikstile.”

Welches Gefühl löst Musik in dir aus?
“Da möchte ich gerne ein Beispiel dazu nennen. Ich habe einmal einen Chor mit gebärdensprachlicher Begleitung gesehen, was mir sehr gut gefallen hat. Das hat mich richtig beeindruckt. Durch die Darstellung der Musik in Gebärden konnte ich die Unterschiede innerhalb der Musik sehr gut erkennen. Ich mag auch Musical bzw. Theater. Die Kombination aus Musik und Schauspiel lässt mich das Gesamte viel besser wahrnehmen.”

Wodurch nimmst du Musik am besten wahr?
Wenn ich mit Kopfhörern Musik höre, kann ich zum Beispiel auch ganz bewusst die Lautstärke einstellen. Wenn ich zu Hause bin, wo ich keine Kopfhörer habe, trage ich Hörgeräte, die unterstützen natürlich meine Wahrnehmung von Musik. Oder wenn ich bei einer Musikanlage ganz nah bei den Bassboxen stehe, dann spüre ich die Vibration.”

Welche deiner Körperregionen reagieren besonders stark auf Musik?
Die Hände! Ganz klar die Hände. Über die Hände nehme ich Musik zuerst wahr und schließlich an den Unterarmen und an den Ellbogen. Ich erfasse die Vibration nicht mit meinem gesamten Körper, die Hände sind das Körperteil, das ich gerne zum Spüren verwende. Mit dem Rücken oder dem Brustkorb ist mir die Wahrnehmung der Vibration nicht angenehm, da bin ich sehr empfindlich und das ist mir dann auch zu intensiv. Ein anderes Körperteil, über das ich Vibration wahrnehmen kann, ist zum Beispiel der Kopf, wenn ich Kopfhörer trage. Angenehm ist für mich auch, wenn ich über eine Klangschale auf meinem Bauch eine leichte Vibration wahrnehmen kann.”

Wie drückst du dich am liebsten durch/mit Musik aus?      
”Ich liebe es, Musiktheater anzusehen, wo eben Musik und Schauspiel kombiniert wird. Oder auch Poesie, genauer gesagt Musikpoesie. Wenn zum Beispiel eine Sängerin einen Text singt und dieser dann mit Gebärden sehr bildhaft dargestellt wird. Musikpoesie meint auch, dass bestimmte Bilder besonders weich und fließend ausgedrückt werden (Anm.: die Interviewte zeigt Beispiele: brausender Wind, fallende Blätter). Die Gebärden werden also an die Musik angepasst und sind somit besonders bildhalft. Poesie braucht deutlich mehr Gefühl und mehr Ausdruck in den Gebärden und dabei ist es immer wichtig, dass die Gebärden das gleiche transportieren wie die Musik, die Verbindung muss also da sein. Die Gebärden werden zum Teil etwas anders ausgeführt.” (Anm.: die Interviewte zeigt noch ein Beispiel von einem Wasser, dass an einen Felsen schlägt)"

Würdest du dir mehr Einbindung in die „Musikwelt der Hörenden“ wünschen, sprich Gebärdensprachdolmetscher auf Konzerten?
Grundsätzlich finde ich es nicht sinnvoll, dass überall DolmetscherInnen dabei sind. Wenn ich zum Beispiel an ein Klavierkonzert denke, da macht das wenig Sinn. Da müsste das Spüren viel mehr im Fokus stehen. Ich müsste also nah an das Klavier gehen, um die Aktionen des Spielenden zu sehen und zusätzlich meine Hände auf das Instrument legen, damit ich etwas wahrnehmen kann. Ähnlich ist es bei einer Harfe, ich muss die Vibration spüren von dem, was gespielt wird. Natürlich, wenn bei einem Konzert Text und Musik im Kombination vorkommen, dann ist es sinnvoll, dass ein Gebärdensprachdolmetscher bzw. eine Dolmetscherin dabei ist. Aber wenn, wie gesagt, Instrumente im Mittelpunkt stehen, dann ist es für mich als gehörlose Person wichtiger, die Vibrationen zu spüren. Ich möchte nochmal auf das Klavierspiel zurückkommen. Ich kann ja grundsätzlich sehen, ob ganz schnell gespielt wird, ob tiefe oder hohe Töne gespielt werden. Ich bekomme schon etwas mit, aber es bräuchte davor immer eine kurze Information darüber, was kommt, was mich erwartet. Die Kombination aus kurzer Information, spüren können und die Wahrnehmung der Person auf der Bühne, wäre meiner Meinung nach sinnvoll.”

Welches Geräusch möchtest du einmal hören, wenn du dir eines wünschen könntest?
Eine sehr gute Frage: Ich glaube, das Geräusch einer Trommel. Das würde ich gerne hören. Oder eine elektronische Gitarre fände ich auch spannend. Aber zu allererst interessiert mich der Klang Trommel, den ich gerne einmal hören würde. Wenn es um Alltagsgeräusche geht, dann vielleicht Meeresrauschen und den Wind. Oder ein Windspiel, wenn es sich im Wind bewegt. Da fände ich auch den Unterschied interessant, wie es bei einer leichten Brise klingt und wie, wenn ein starker Wind weht.”

Macht dir Stille in manchen Situationen Angst?
Ich hätte dann Angst, wenn ich taubblind wäre. Wenn ich nichts sehen könnte, es sehr dunkel wäre und ich eben nicht hören und nicht sehen könnte.”

Schaust du im Fernsehen Sendungen mit Gebärdensprachdolmetschung?
Sehr, sehr selten. Vor einiger Zeit habe ich mir den Eurovisions Songcontest angesehen, der in Gebärdensprache gedolmetscht wurde, aber sonst schaue ich kaum gedolmetschte Sendungen. In Österreich ist es ohnehin so, dass es kaum Sendungen mit Dolmetschung gibt, im Vergleich zu Deutschland. Ab und zu schaue ich im Internet Musikvideos mit Gebärdensprache, aber wirklich selten. Für die Zukunft wäre es toll, wenn es diesbezüglich mehr Angebot gäbe.”

Foto: Caritas OÖ

Foto: Caritas OÖ

Beim zweiten Teil des Gespräches durfte ich näher auf die Bedeutung von Gehörlosigkeit und Bewegung eingehen. 

 

Tanzt du gerne?
Ja. Als ich klein war, habe ich eine Tanzlehrerin beobachtet und war total fasziniert und begeistert. Ich wollte von ihr wissen, ob es für das Tanzen notwendig ist, hören zu können. Ihre Antwort war, dass dies nicht von Bedeutung wäre, denn es ist vor allem wichtig, die Musik zu spüren. Das blieb bei mir hängen. Tanzen ist eine meiner Leidenschaften, egal ob mit oder ohne Musik, egal welcher Stil, frei oder modern. Es funktioniert beides, solange ich die Musik innerlich spüren kann.” 

In welchen Situationen tanzt du gerne?
Es ist sehr lange her, dass ich getanzt habe. In der Zeit, als ich eine Familie gegründet habe, ist das Tanzen immer weniger geworden, weil ich kaum mehr Zeit dafür hatte oder ich mir keine Zeit zum Tanzen genommen habe. Ich kenne außerdem wenige Personen, die Interesse am Tanzen haben und so hatte ich auch wenig Motivation dafür. Wenn es eine Gruppe gäbe, wo ich mich anhängen könnte, wäre das auf jeden Fall einfacher.”

Kann man auch in Stille tanzen, sich frei bewegen, oder ist das Spüren der Vibration dafür notwendig?
Ich persönlich brauche keine Musik. Hörende können sich das Tanzen in der Stille wohl kaum vorstellen und meinen, dass es unmöglich sei, in Stille zu tanzen. Aber ich brauche die Musik grundsätzlich nicht zum Tanzen.”

Musik erzeugt immer ein Gefühl, weckt Erinnerungen, löst Assoziationen aus. Ich kann eine Musikanlage einschalte und den Bass körperlich spüren, der durch die Vibration unterschiedliche Gefühle auslöst. Aber wenn du zum Beispiel ein Konzert besuchst. Eine Sängerin steht auf einer Bühne. Ein Orchester spielt in einem Musikhaus. Du kannst Personen beobachten, wie sie singen, tanzen, mit Instrumenten spielen. Kann auch diese Beobachtungssituation ein Gefühl auslösen?
Ja, auf jeden Fall. Wenn ich mit Kopfhörern Musik höre, löst das kein so starkes Gefühl in mir aus, aber wenn ich etwas visuell vor mir habe, ist das ein deutlicher Unterschied. Ich sehe zum Beispiel, ob sich Personen an den Instrumenten ruhig bewegen oder ganz schnell. Bei einer Geige kann ich beispielsweise Steigerungen im Tempo bzw. in der Intensität sehen, so auch beim Klavierspiel. Ich bekomme mit, ob schnell gespielt wird oder langsam. Ich sehe, was der Körper der musizierenden Person zeigt, wie aktiv sich der Körper an der Musik beteiligt, das kann ich sehr gut beobachten. Bei einer Sängerin sieht man ebenso, ob sie sehr ausdrucksstark agiert oder weniger. Genauso bei einem Rapper, ich sehe deutlich an seinen Körperbewegungen, welche Intensität das Rappen hat und das vermittelt schließlich ein anders Gefühl, weil ich einen anderen Ausdruck wahrnehmen kann. Manchmal schaue ich MTV (Anm.: Musiksender im Fernsehen, der vermehrt Musikvideos zeigt)und beobachte einfach nur die Personen, die Musik machen. Wenn ich an afroamerikanische Personen denke, die haben so eine ganz typische Ausdrucksweise für mich, indem sie mit ihrem Körper ganz starke Bewegungen erzeugen. Ich verbinde mit speziellen Gruppen automatisch typische Bilder. Und so bekomme ich einen Eindruck von der Musik. Ohne ein Bild zur Musik, kann ich mir nicht vorstellen, was und wie da vielleicht gesungen wird. Die Musik alleine ist mir diesbezüglich zu wenig.”

Welcher deiner Sinne ist dir der Liebste?
Das Spüren, also der Tastsinn. Aber natürlich auch der Sehsinn. Visuelles ist sowieso sehr essentiell für mich.”

Egal, ob man in der Straßenbahn sitzt, auf der Landstraße flaniert, oder einkaufen geht, es lässt sich beobachten, dass sehr viele Menschen mit Stöpseln in den Ohren unterwegs sind. Möglicherweise eine Strategie um „gehörlos“ zu werden für die unmittelbare Umwelt. Welche Sinne musst du „ausschalten“, wenn du nichts von deiner Umwelt mitkriegen möchtest?
Ich höre ja nichts, somit habe ich mehr oder weniger schon einen Vorteil. Wenn ich Hörgeräte trage, dann kann ich das bewusst steuern, indem ich die Hörgeräte abschalte. Manchmal ist mir ein Geräusch von außen zu viel, dann schalte ich das Hörgerät einfach ab. Das ist diesbezüglich ein klarer Vorteil für mich.”

Was sind deine Hobbys?
”Die Natur ist ein großes Hobby von mir. Ich liebe es, spazieren zu gehen, egal ob weite oder kurze Strecken. Ich kann in der Natur Stress abbauen und meine Gedanken einfach baumeln lassen.” 

Gibt es ausreichend Teilhabemöglichkeiten für gehörlose Menschen im Bereich Freizeitgestaltung?
Es gibt leider sehr oft Barrieren und Einschränkungen betreffend die Freizeitgestaltung. Wenn ich zum Beispiel an einem Nähworkshop teilnehmen möchte, kann ich nicht einfach so teilnehmen. Ich muss im Vorfeld viel organisieren, ich müsste zum Beispiel einige Gehörlose dazu animieren, mit mir den Workshop zu besuchen (Anm.: bei einer Teilnahme von mind. 5 gehörlosen Personen an einer öffentlichen Veranstaltung, einem Freizeitangebot, werden die Dolmetschkosten von der oö. Landesregierung übernommen). Oder ich kann auch nicht einfach an einem Yogakurs teilnehmen. Es geht nicht, dass ich einfach so vorbeikomme, das funktioniert nicht. Im muss im Vorhinein über mich als Person aufklären, dass ich gehörlos bin. Es ist auch dann nicht selbstverständlich, dass ich an einem Kurs meiner Wahl teilnehmen kann.”

Wir planen ja einen Tanzraum auch als Begegnungsraum für hörende und gehörlose Menschen - was hältst du von dieser Idee?
Ich finde gut, dass es ein sehr hemmungsfreies Projekt ist, das eine Kommunikation zwischen Gehörlosen und Hörenden schafft. Wie sich die TeilnehmerInnen untereinander verständigen, wird ein Thema sein. Für mich ist es von großer Bedeutung, dass eine Art Kommunikationsbrücke entstehen kann. Und wichtig finde ich außerdem, dass sich einerseits die hörenden TeilnehmerInnen an uns gehörlose TeilnehmerInnen anpassen, an die, die nichts hören können und andererseits müssen umgekehrt wir Gehörlose uns an die Hörenden anpassen. Das Entstehen von Kommunikation steht dabei für mich an erster Stelle.”


Danke Ying für das Gespräch! Ich bedanke mich auch bei Magdalena Mülleder für das Dolmetschen und für ihre maßgebliche Auseinandersetzung mit dem Text und dessen Transkription. 

An einer/meiner Seite

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Der Küchenboden und ich

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