Wundersuche unterwegs
Ich mag das Moos, nach dem ich meine Finger ausstrecke und es zärtlich streichle, so als wäre es lebendig und würde mir erzählen von diesem Tag. Ich mag die Barfußgeh-Momente – erst dann ist es richtig Sommer für mich – wie ich mein Atem-Hören mag angesichts des zu steilen Hanges. Ich mag das weiche Katzenfell, das Gepolter der Marder spät nachts unter meinem Schlafzimmerdach. Ich mag sternenklare Nächte und das Entzünden eines offenen Feuers. Ich mag das Aufreissen des eigenen Horizontes inmitten veränderter Alltage. Und das Beobachten mit welch Schnelligkeit sich gewohnte Routinen und Rollen wandeln. Ich mag den Tempowechsel und die neuen Konnotationen, die „Stress“ bekommt, ausgelöst durch Witterungsschwankungen, von denen man abhängig ist und mit diesen, von diesen leben muss. Ich mag das ganztags Frischluft- und Kaffeeduft-Gefühl.
Zwischen Moosgrün und kopfhohen Gräsern denke ich über Seh- und Sehnsüchte nach. Über die Beschaffenheit von Böden und ihre Wirkung auf meine Ge(h)wohnheiten. Über festen Grund unter den Füßen und weiche Federn unter meinem Kopf. Nach dem Verlangen das Eigene zu finden zwischen Welten, die nicht unterschiedlicher hätten ausfallen können, und sie sich doch anziehen wie ein Magnet. Wie versöhnt man die Welten zwischen Schlafen unter freiem Himmel und dem nächtlichen Rauschen der Stadt? Wie übt man das verständnisvolle Kundig-werden in Räumen der veränderten Bedeutsamkeiten? Wo der Hahn früh morgens weckt und das Tagwerk endet mit stillen, erschöpften Staunen? Wie erinnert man sich der eigenen Muttersprache? Die man nie vergessen hat zu sprechen, doch aufs Neue gefordert ist, den Worten auf den Grund zu gehen?
Ich mag es auch von der Stadt zu reden, in die ich wieder zurückkehren werde. Denn für mich ist sie nie ein Moloch. Sondern wie ein Gebetsteppich verwoben mit unzähligen Gesichtern und Geschichten, Zugängen und Ansichten, Hoffnungen und Schönheiten, Texturen und Plastiken. Ist und bleibt vielfältiger Erfahrungsraum, reich und bunt, klar und kühl, zart und hässlich, anonymer Rückzugsraum und Hort der Begegnung wie der Einsamkeit. Ist gleichsam Wahrnehmungsschule für das Sehen, Hören, Schmecken und Fühlen. Selbst wenn ich mich dort nur selten meiner Schuhe entledige, so berühre ich gerne das, was mich umgibt. Verbinde gedanklich die Welten, aktiviere meine Fantasie. Die ohnehin keine Grenzen kennen muss. In denen der mossbegrünte Stein auf der städtischen Parkbank liegen könnte, oder auch den Kirchenraum ziert. Oder ich diesen an ganz neuen Orten entdecke. Sowie das aufblasbare Pool irritierend selbstverständlich zwischen Arbeitsgeräten zu stehen kommen könnte um jene einzuladen zu springen, die glaubten, dies verlernt zu haben. Ich mag die Vorstellung, durch die Stadt zu wandern ohne Stöcke und Rucksack, doch nicht weniger mit staunenden, ja, touristischen Augen. Wie schön es wäre, ein Zelt aufzuschlagen, mitten in der Stadt um zu hören, ob auch dort der Dachs die dünnen Wände umspielt.
Ich erlaube mir, “Dinge” zu nehmen und “Dinge” abzustellen. Auch außerhalb scheinbar abgesteckter Grenzen. Sehnsüchte, Ideen und Erfahrungen mitnehmen und einpacken, auspacken und betrachten, herzeigen und anbieten, wo auch immer, wem auch immer. Distanzen überwinden um Nähe für die so greifbaren „fremden“ Welten zu stiftet, indem man sich selbst und andere auf Reisen schickt und man sich im eigenen Vagabundieren annehmen und schätzen lernt. Ja, sich selbst sogar ein Stück besser kennenlernt im Zwischen den Welten. Türen öffnen und Einblicke gewähren, ohne ein Transportmittel zu benötigen. Denn das Transportmittel ist man selbst. Nicht das Eine noch das Andere ist besser, sondern zusammengetragen, ergibt sich ein Bild, welches möglicherweise das ganze Jahr über nährend sein könnte und die Sehnsucht nach einem Platz wachhält, an dem temporär ein Zelt aufgeschlagen werden darf. Wie fein. Ich mag es zu verbinden, wenn auch schrittweise und zu allererst im Kopf.
Heimat wird dann, wenn ich mich drauf einlasse. Mit allem her und hin.