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Manchmal da bleibe ich am Schaufenster stehen und schaue mir Parten an. Einerseits weil ich das gerne mag und ich mich immer frage, wie meine einmal aussehen wird, bzw. wie ganz grundsätzlich „unsere“ Parten einmal aussehen werden. Wie sich die Ästhetik jüngerer Generationen in ihrem letzten Moment zeigen wird? Ob sich ein Bild ergibt, ob sich Gemeinsamkeiten erkennen lassen, ob sich ein Geschmack durchhalten wird? Ob minimalistische, grafische Designs, klare Farben und Formen, reduzierte Auftritte immer noch schön sein werden? Oder verheddere ich mich gerade mit meinem eigenen Geschmack in meiner eigenen Blase?
Ob man Wert auf Titel legt und die beruflichen Erfolge? Ob die sichtbaren und unsichtbaren geliebten Hinterbliebenen einen Platz finden werden? Ob immer noch ein Gedicht, ein Psalm, ein einzelnes Wort preisgegeben wird? Oder allein (m)ein Name? Vielleicht mischt sich die klare Form ja auch unter das Graffiti, oder doch der Engel unter die Linie? Vielleicht bleibt das Naturmotiv als Sehnsuchtsort oder doch der Kirchturm? Darauf bin ich richtig neugierig, trotz oder gerade wegen den vielen “oder dochs”. Ja, das gebe ich zu, und auch, dass ich im Grunde sehr wenig über Geschmacksurteile junger Menschen weiß, denn mir ist bewusst geworden, dass ich selbst nicht mehr ganz so jung bin, auch wenn ich mich nicht alt fühle. Mein Sohn sagte vor kurzem zu mir: „Du kannst schon was lernen von mir! Das ist ja der Grund, warum ich auf die Welt gekommen bin.“ Schön, denk ich mir, ja, ich habe wirklich viel zu lernen, von Jungen und Älteren und ganz Vielen dazwischen. Ich spüre, das könnte noch abenteuerlich werden.
Andererseits bleibe ich stehen um meinen Blick über die Gesichter schweifen zu lassen. Als hielte ich jedes Mal Ausschau nach einem bekannten Gesicht, um zu überprüfen, ob ich mich ab diesem Zeitpunkt so richtig zu Hause fühlen werde in dieser Stadt, an diesem Ort, und habe gleichzeitig Angst vor genau diesem Moment, wenn es passiert, dass ich erkenne.
Letztens bin ich wieder am Schaufenster des Bestattungsunternehmens vorbeigegangen. Es war früh morgens, es gesellte sich noch niemand zu mir. Viele Gesichter blickten mich an. Und eine Liedzeile aus Elton John´s „Rocket Man“:
“(…) And I think it's gonna be a long long time
'Till touch down brings me round again to find
I'm not the man they think I am at home
Oh no no no I'm a rocket man
Rocket man burning out his fuse up here alone (…)”
Welche Menschen, Klänge, Orte und Worte werden mich bewegen, sodass ich ein Fragment davon ein letztes Mal in den Stadtraum schreiben werde – um ganz ehrlich zu sein, sodass jemand anderes dies für mich zu übernehmen weiß…
Das könnte wohl das größte Geschenk sein: Hoffnung auf ein Gegenüber zu haben. Jemand, der bleibt, bevor ich geh. Jemanden an der Seite zu wissen, dem ich heut und morgen oder gar in 60 Jahren erzählen kann, was sich eingeschrieben hat in mein Herz und in meinen Kopf. Jemanden zu haben, der zuhört, und nicht wegrennt vor dem, was man heut zu denken nicht wagen will.
Was sich versöhnt anfühlt und was verwundet bleibt. Was gesagt werden muss und wo man lieber schweigt. Ob man Buntheit mag oder das weiße Blatt Papier.
Jemanden zu erhoffen, der mich inmitten des Wandels erkennt und mich zwischen den Falten findet.
Ich habe noch so viel Zeit um das herauszufinden, was bleibt und was sich wandelt. Wie meine Herzenssätze klingen und meine Körpermelodien sich in Sprache kleiden. Wer meine Vorbilder und Inspirationsgeber_innen sind, sein werden und es bleiben.
Wie viele Gesichter mir bereits neue Lernfelder eröffneten, dabei bleib ich sehnsüchtig und neugierig auf Mehr. Vielleicht bin ich irgendwann zufrieden - mit mir. Wer weiß, vielleicht wird das mein letztes Wort. Das wäre was. Ich merke, das lässt mich jetzt gerade staunen.
Dann und wann nachzudenken über das: was wäre, wenn ... das möchte ich bei Zeiten in hellen Momenten bedenken.