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Horch mal ...

Horch mal ...

Manchmal möchte ich mich gerne an meine Seite legen, mein Ohr an mein Herz halten, um ganz genau zu vernehmen, was es zu sagen hat. Herz an Ohr zu liegen erscheint mir oft das einzige, das ich mir erhoffe für einen Tag. Einen Moment finden, der unverstellt und ungeschönt, hörbar werden lässt, was gesagt werden will und oft verstummt im Rauschen des Alltags. Sich einen Moment am Tag gönnen, an dem ich mich „selber riskiere“, ein Begriffspaar, das ich entdeckt habe in den Briefen zwischen Hannah Arendt und Hilde Fränkel. Eine Beziehung zwischen zwei Frauen, die nicht länger währte als ein Jahr, und dennoch schwerer wog als die Ewigkeit.
„Sich selber riskieren“, ich sag es einmal, zweimal, dreimal laut und leis vor mich hin. Und setzte mich dabei ruhig auf den Boden mit Blick zum Fenster. Noch vor wenigen Tagen schaute ich den Schneeflocken auf ihrer Reise vom Himmel auf die Erde zu. Hinter den Scheiben beobachtete ich dieses zärtliche Schaustück. Eine tiefe Erschütterung machte sich in mir breit. Wie vor einem dunklen Graben stehend. Den Blick nach unten gerichtet. So schwarz war es. Keine Anstrengung hätte so groß sein können, als dass das Schwarz einen Blick auf ein Staubkorn frei gegeben hätte. Eine Frage, die so laut wurde, dass es mich in die Knie zwang. Ja, ich kniete vor dem Abgrund. „Was habe ich denn schon zu geben?“ „Was kann ich eigentlich?“ „Wo ist dieser Glaube, der Gräben zu überwinden vermag?“ – Kurt Marti würde mich rügen für dieses Wort: „vermag“, als ein antiquiertes Wort, das eher ein „mögen“ als ein „können“ bezeichnet und das keiner mehr verstehe. Vermögen kommt von „Fähigkeit, Kraft, Im Stande sein“ oder bezeichnet auch „finanzielle Mittel“. Momentan habe ich das Gefühl, weder mit dem einen noch mit dem andere dienen zu können.
So verweile ich doch einen Moment beim „mögen“. Könnte ich etwa, und mag einfach nicht – springen? Auf die andere Seite? Jenseits des Grabens und meines besetzten Platzes? Hinterland betreten? Erobern? Erforschen? Krieg ich es etwa mit der Angst zu tun? Ja, vor was denn eigentlich? Erscheint mir das Risiko zu hoch? Was setze ich denn aufs Spiel? Habe ich etwa Angst um Mich, Mich selbst zu verlieren oder mehr davor, Mich ganz neu zu finden? Dort drüben, wo alles brachliegt? Ich denke in diesem Moment an den dänischen Philosophen und Theologen Søren Kierkegaard, der intensiv, förmlich am eigenen Leibe, über die Ursprünge von Angst und Verzweiflung schrieb: „verzweifelt nicht man selbst sein wollen; verzweifelt man selbst sein wollen" (KT, 1 A) Diese Annäherung hat mir immer sehr imponiert. Es be-trifft mich.

Ich schätze diese Momente, so weh sie auch tun, und für gewöhnlich neige ich dazu, mich dann durchzuklicken oder durchzublättern auf den Oberflächen und weiten Landschaften der Bildungsprogramme. Und suche nach Anregungen von Menschen, die das „Mögen“, „Können“ und das „Wollen“ in einem zu entfachen wissen. Und weiß doch selber nicht, wo ich anfangen soll, und will doch nur besser werden für mich und die anderen ... Meditation, Kontemplation, Supervision, Moderation, Schreiben, Reden, Denken oder Pflegen lernen ... Und denk mir bei jedem Angebot, ich sei doch noch nicht gut genug um mich darin zu schulen. Diese Flut an Möglichkeiten erschlägt mich und ich setze mich zurück vor das Fensterglas. Ja, es gibt diese Momente, wo ich mir selber zu viel werde, wo diese ängstlichen Gedanken beginnen sich Raum zu nehmen, besser, Beine, Ohren, Herz und Hände zu Granit werden lassen. Ich versuche, mich aus der Erstarrung zu befreien, ohne dass ich sie weg-reden könnte oder möchte. Ich beginne hinzuhören:

„Ich habe Angst vor dem Prozess und dem Weg, vor der Entwicklung und dem Sich-finden im Takt der Schritte, der Abzweigungen und der Umwege. Noch bevor ich einen Schritt getan habe, wäre ich schon gerne fertig. Manchmal hab ich Angst vor dem leeren Blatt Papier, weil kein Wort gut genug sein könnte, um den Anfang zu machen. Ich habe solche Angst vor der Belanglosigkeit meines Tuns, dass ich manchmal verstumme, wo ich doch nichts mehr erhoffe, als dass es Menschen berührt, und bewegt, was ich tue, denke und fühle. Ich habe solche Angst, Dinge zu tun, die ich nicht gelernt habe und für die ich kein Zertifikat in Händen halte, und die mich doch führen und leiten. Ich habe solche Angst nicht zu genügen. Ich bezweifle, andere Menschen auf ihrem (spirituellen) Weg begleiten zu können, weil ich selber im Dunkeln tappe. Ich habe Angst, viel zu kleingläubig zu sein für Kirche und die Welt. Ich habe solche Angst, dass das Leben nicht reicht um herauszufinden, wer ich bin, sein möchte und sein könnte.“

Das würde ich mal einen Herzens-Dialog nennen. Und im Moment des Notierens dieser Gedanken, berührt mich ein Bild, als würden die Schneeflocken beginnen den dunklen, tiefen Graben zu befüllen. Ganz leicht. Ein flüchtiges Gebilde auf das andere. Es sieht schon beinah so aus, als könnte man darüber spazieren. Es wirkt einladend, trotz seiner Beweglichkeit und Flüchtigkeit. Es macht mich neugierig. Ich hab das Gefühl, das könnte tragen. Es könnte halten, was es verspricht. Ein Stück Himmel ist in jeder Spalte. Niemand hat je gesagt, dass er anders zu finden wäre. Als mitten drin im hell dunkel des Alltags, kniend vor dem Abgrund, staunend hinter Glas, hockend auf warmen Böden, lauschend dem inneren Heulen, Träumend vom Fliegen auf Wolken, begegnend der eigenen Kraft und zurückschreckend vor eigenem Wollen. Suchend das Gesicht, das einen schon vorher erkannte, gewähren lassend jene Hände, die immer wieder Bretter über den Graben legen. 

Ich spüre in diesem Moment eine Stille, die ruhig ist, die nicht tönt und hämmert und das Bild vom steinernen Herzen langsam in das Herz aus Fleisch und Blut überzugehen scheint, das die ganze Bandbreite an Emotionen – so man es als Metapher für dieses Vermögen betrachten möchte – in sich vereint. Die Angst gehört dazu. Ich spüre, etwas ist mir möglich: Die Frage nach dem Warum zu stellen. Mich Mir auszusetzen. Mich zu konfrontieren, dabei etwas zu riskieren. Dass sie sich womöglich nicht augenblicklich auflöst in Schall und Rauch, ich mich aber auch nicht. Was hab ich zu verlieren? Ich nehme heute einen Stift und schreibe in meinem Tempo: „Fürchte dich nicht!“ auf meinen Spiegel und verlangsame so meinen Atem. Ich möchte mich riskieren, um den Preis, nicht zu wissen, wohin der nächste Schritt führt. Wie langweilig wäre ein Leben, wenn von Anbeginn an klar wäre, wohin es führt und wer man zu sein hat. Welch Privileg, solch einen Gedanken denken zu dürfen ... Welch Gabe und Aufgabe dieser Freiheit doch entspringt. Auch wenn ich nicht gleich Mauern einreisse, Wände hochgehe und Gräben überwinde. So versuche ich der Stimme zu folgen, die mal aus der Ferne, mal ganz nah mich lockt und zieht, mich ermutigt, diesem Klang zu trauen. Mir selbst zu trauen, auch wenn ich mich manchmal entziehe. Mut zu wagen und meine Angst zu respektieren. Tun zu wollen und um meine Schüchternheit wissen. Ich bin nicht eindeutig. Wer ist das schon? Da wird es spannend. Ich möcht Ich sein. Aber es nicht bleiben. Sondern werden. Und anderen dabei zusehen dürfen. Beim Sich finden. Ich möchte tun, was ich sein und geben kann und was ich wirklich liebe …

"Ich höre zu."


 

Auf.Richtig

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Ein Abendspaziergang

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