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Vom Suchen und Finden einer letzten Herberge

Vom Suchen und Finden einer letzten Herberge

St. Barbara – ein Ort des Lebens in der letzten Phase

Als „Wundersucherin“ darf ich Geschichten von Menschen hören und versuchen, Eindrücke und Erfahrungen von diesen Begegnungen in Worte zu fassen. Dies erfordert Mut und Respekt vor jeder einzelnen Geschichte. Denn ich möchte die richtigen Worte finden, das Erzählte in eine Form bringen, in der sich meine Gesprächspartner_innen wiederfinden. Jede Erzählung ist eine Kostbarkeit für mich, da mir Menschen etwas geschenkt haben, das nicht selbstverständlich ist. Ihre Zeit, ihr Innerstes, ihre Gefühle, Ideen und Visionen, Fragmente aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft. Heute darf ich von der Gastfreundschaft eines sehr besonderen Ortes erzählen.

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Es ist ein Ort, an dem sich die Zeit verdichtet und eine neue Qualität bekommt. Ein Ort des Ankommens und Bleiben-Dürfens, ein Ort der schonungslosen Ehrlichkeit. Ein Ort, an dem Leben und Tod sich sehr nahestehen. Ein Ort, der mir eine besondere Form der Achtsamkeit im Umgang mit meinen Worten abverlangt, weil ich genau dies als Arbeitsethos, als Lebensstil der einzelnen Gesprächspartner_innen erfahren durfte. Ehrlichkeit, Achtsamkeit, Respekt und Schutz des Selbstbestimmungsrechts eines jeden Einzelnen als oberste Prämissen des Reflektierens und Handelns.

Ich bin zu Gast im St. Barbara Hospiz in Linz, wo ich einen ganzen Tag miterleben darf.

Ein Hospiz ist ein sehr „privater und intimer Ort“, an welchem unheilbar kranke Menschen einen Platz gefunden haben, „wo sie keiner mehr wegschickt“, so der Tenor der Diplomsozialpädagogin Elisabeth Witzeneder und der Leiterin des St. Barbara Hospizes Margret Krebelder. Die Bewohner_innen des Hospizes haben dort ihre Wohnungen bezogen und dürfen diese bis zum letzten Atemzug bewohnen.
Mir wird viel Aufmerksamkeit und Interesse an meinen Gedanken geschenkt, sodass wir uns gut darauf verständigen können, gemeinsam an der Enttabuisierung des Lebens in der letzten Phase, beizutragen. Mir selbst ist daran gelegen, ein Gefühl für jenen gesellschaftlich wie individuell so wichtigen Ort zu bekommen, indem ich denen zuhöre, die täglich in der Pflege, Betreuung, Therapie, Schmerzlinderung und Seelsorge tätig sind. Ich bin neugierig darauf, ob und wie sich die Präsenz des Todes in die Atmosphären und Körper einschreibt und darf erfahren, dass vieles ganz intensiv vom Leben erzählt.

Schon wenige Tage nach dem Erstkontakt mache ich mich gegen halb sieben auf den Weg zum Krankenhaus der Elisabethinen, in deren Räumlichkeiten das St. Barbara Hospiz eingemietet ist. Es ist das erste stationäre Hospiz Oberösterreichs, und wird von vier Einrichtungen – den Elisabethinen, den Barmherzigen Brüdern, der Vinzenzgruppe und dem Roten Kreuz – getragen, und ist in enger Zusammenarbeit mit diesen vier Eigentümern organisiert. Finanziert wird das St. Barbara Hospiz zum größten Teil vom Land Oberösterreich, zu einem kleinen Teil von den Sozialversicherungsträger und von Spendeneinnahmen. Von den Bewohner_innen werden ein Tagsatz von 10 Euro, und 80% des Pflegegeldes herangezogen, wobei eine bestimmte Pflegestufe keine Voraussetzung für einen Platz im St. Barbara Hospiz darstellt.

„Warum machen sich die Leute nur so einen Stress?“

Ich muss gestehen, dass ich es bis dato nicht wusste, dass ein stationäres Hospiz in Linz eingerichtet wurde. Und ich muss auch gestehen, dass ich nun doch ein wenig nervös wurde. Unweigerlich eröffneten sich mir Bilder aus meiner eigenen Geschichte. Ein klein wenig Übung habe ich im Abschiednehmen, im Loslassen von geliebten Menschen. Begleiten durfte ich eine Person davon. Welch wunderbaren Zeitpunkt sich meine Oma damals ausgesucht hatte ins Krankenhaus zu gehen. Es war Februar, also Ferienzeit während des Studiums. Ich konnte bei ihr sein. Jeden Tag war ich da, genauso wie der Rest meiner Familie. Ich kann mich noch gut an eines der letzten Gespräche erinnern. In ihrer gewohnten Gelassenheit und mit einem Schmunzeln auf dem Gesicht stellte sie mir die Frage: „Warum machen sich die Menschen nur so einen Stress? Wenn ich nochmal etwas anders machen könnte, dann würde ich mir mehr Zeit lassen“, sagt eine Mutter von 9 Kindern, von denen ihr zu diesem Zeitpunkt bereits zwei vorausgegangen waren. Eine Frau, die ihr Leben als Dienstmädchen und später als Bäuerin zu gestalten versuchte. Ich denke oft an sie und an das friedliche Gesicht, als ich zur Tür reinkam und sie zehn Minuten vor meinem Eintreffen verstorben war. Eine ganz besondere Stille lag in der Luft. Vielleicht kennen Sie das auch?

Ich denke oft an ihren letzten unwiederbringlichen Wunsch: Zeit haben. Sich Zeit nehmen. Die eigene Zeit gestalten. Sie nehmen als das, was sie ist. Ein Geschenk. Ein Spielraum. Ort um zu atmen. Raum um Grenzen auszuloten. Leben als Zeit-Raum um Freundschaft zu schließen mit sich selbst. Meine Gedanken schweifen in die Ferne, meine Nervosität ist verflogen und schon „begrüßt“ mich ein Mosaik der Heiligen Elisabeth vor dem Eingang zum Krankenhaus der Elisabethinen.

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Kurz vor dreiviertel sieben marschiere ich durch einen hellen und lichtdurchfluteten Eingangsbereich hin zum Fahrstuhl, der mich in den 4. Stock führt. Ich betrete den Flur, es ist ganz ruhig, leise Stimmen, denen ich folge, bis mich eine Mitarbeiterin freundlich begrüßt. Der Nachtdienst beendet den Tag und übergibt alle wichtigen Informationen an den Tagdienst. Ich stelle die Idee der Wundersuche vor, die Nachtschwester lächelt mich an. „Ja, da sind Sie hier ganz richtig“ meint sie. Ich höre einfach zu, darf dabei sein, mir meine Notizen machen. Meine Fragen dazwischen sind immer erwünscht. Die Stimmung ist entspannt, Aufmerksamkeit und Ruhe durchfluten den Raum. Meine erste Resonanz auf dieses Zusammensein frühmorgens wird mich durch den ganzen Tag tragen.

„Man muss sie so sein lassen wie sie sind.“

Es sind hier keine „Fälle“, die besprochen werden, keine Patient_innen, die rein formal betrachtet versorgt werden, nein, es sind individuelle Persönlichkeiten, die mit ihren ganz eigenen Wesenszügen, Bedürfnissen, Leidenschaften, Ängsten und Sorgen im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit stehen. „Man muss sie so sein lassen können, wie sie sind. Die Freiheit und Autonomie der Bewohner_innen zu respektieren, ist ganz zentral für unsere Arbeit“, so der diplomierte Gesundheits- und Krankenpfleger Johannes Ganglberger. „Die Bewohner_inen dürfen naschen, rauchen, ein Glas Wein trinken oder sich eine Eierspeise machen lassen, wenn ihnen danach ist. Sie können so lange aufbleiben wie sie wollen und morgens so lange schlafen wie sie möchten. Und wenn sie plötzlich einen laktosefreien Grießbrei möchten, dann soll auch das möglich sein. Essen ist ein sehr wichtiges Thema“, bekräftigt die Diplomsozialpädagogin Elisabeth Witzeneder. „Wenn sich plötzlich jemand wahnsinnig über die Konsistenz des Strudelteiges aufregt, dann ist immer zu fragen, was hinter dieser Reaktion steckt. Das braucht Zeit und Aufmerksamkeit.“

„Bin ich eh noch krank genug?“

Dass Zeit eine besondere Rolle spielt, liegt auf der Hand. Wer im Hospiz die letzte Phase seines Lebens erlebt, ist sich der Unausweichlichkeit des eigenen Todes bewusst. Oft haben die Menschen von sehr langen Leidensgeschichten zu berichten. Wenn eine Betreuung im gewohnten sozialen Umfeld auf Grund von medizinischen, pflegerischen, psychosozialen Gründen nicht mehr möglich ist, und eine unheilbare Erkrankung vorliegt, werden Patient_innen dem stationären Hospiz zugewiesen. Oft haben Bewohner_innen Angst, dass sie wieder gehen müssen, doch ein Hospizplatz wird niemandem wieder genommen.

Im Unterschied zu Palliativstationen findet im Hospiz keine Abklärung mehr statt. Der Fokus liegt auf der Symptombehandlung, der Linderung von Schmerzen, Übelkeit und Ängsten. Im Netzwerk eines multiprofessionellen Teams aus diplomiertem Pflegepersonal, Physiotherapie, Psychotherapie, Medizin und Seelsorge lernen viele Bewohner_innen noch einmal ganz neu, sich zu entspannen und zu genießen.

„Die Menschen sollen dort leben und sterben dürfen, wo sie zu Hause sind.“

Elisabeth Witzender

Das St. Barbara Hospiz ist so eingerichtet, dass es sich wie ein letztes Zuhause anfühlen kann. Ich darf mir die unterschiedlichen Räumlichkeiten ansehen. Das Stationsbad ist sehr schön, Kerzen dürfen angezündet werden, Musik läuft im Hintergrund. Es gibt einen Raum der Stille, eine Küche mit Toaster und Kaffeemaschine ausgestattet, wo auch Angehörigen sich etwas zubereiten können. Elisabeth Witzeneder nimmt mich mit zu Herrn N., der jetzt seine Physiotherapie-Stunde im Krankenhaus der Elisabethinen wahrnehmen möchte. Ein extrem wichtiges Ritual für Herrn N. wie ich erfahren werde. Herr N. weiß, dass ich kommen werde und ist einverstanden damit. Wir begrüßen uns, der Speiseplan wird akribisch studiert, alles wird wie gewünscht bestellt. Ob er sich ein wenig mit mir unterhalten möchte, fragt ihn Frau Witzeneder. Er legt seine Stirn in Falten, an der akademischen Theologie sei er interessiert, er beginnt seinen Bücherstapel zu inspizieren, bis er mir ein Buch hinhält, welches für ihn als Grundlage eines Gespräches dienen könnte. Ich schlucke. Sehe mir den Titel an, lese den Klappentext, Vertreter der französisch-deutschen Philosophie, Post-colonial Studies. Ich muss ihm gestehen, dass er sich zwar für höchst interessante Literatur interessiere, aber ich der Meinung sei, dass er bei diesem Stoff wohl besser eine promovierte Philosophin bräuchte, und ich das leider nicht bin. So verabschieden wir uns voneinander.

„Alle Höflichkeiten fallen ab.“

Karin Hartmann

Und brennt eine kleine Kerze vor einem Zimmer, markiert dieses Licht das Abschiednehmenmüssen. Elisabeth Witzeneder zeigt mir drei dicke Bücher, in denen jede Seite von einem Verstorbenen erzählt. Durch die Augen des Pflegepersonales wollen die individuell gestalteten Seiten der verstorbenen Bewohner_innen gedenken. Auch für die Krankenhausseelsorgerin Karin Hartmann, die sich als „Spirituelle Begleiterin für den Übergang“ versteht, ist das Hospiz ein Ort „mit den Mitarbeiter_innen, Angehörigen und Bewohner_innen ganz im Heute Gottes zu leben.“ Es ist ein Ort, an dem sie die Bewohner_innen oft noch über mehrere Monate hinweg begleiten darf. Religion spiele dabei eine zweitrangige Rolle.

„Die Spiritualitäten liegen häufig im Verborgenen und Religion ist sehr privat hier“, so Hartmann. Das Ringen mit den „ganz großen Fragen über Gott und den Sinn, ist auf Grund der oft sehr langen Krankheitsgeschichten zu diesem Zeitpunkt meist schon erledigt. Wenn ihnen der Glaube aber hilft, und für die Bewohner_innen eine Ressource darstellt, dann ergibt sich ein Gespräch darüber.“ Für Karin Hartmann sind es die individuell gestalteten Rituale, Gesten, kurze Gebete, die sie selbst tief berühren, weil sie aufrichtige Begegnungen mit Angehörigen und den Bewohner_innen ermöglichen und Räume eröffnen, in denen die „Präsenz Gottes spürbar wird.“

Das Leben in der letzten Phase wird von Karin Hartmann als sehr intensive Zeit des Lebens und Genießens, manchmal sogar des letzten Aufblühens beschrieben: „Die Bewohner_innen benötigen ihre ganze Energie für das Hier und jetzt. Alle Rücksichtnahmen, Höflichkeiten fallen ab. Es ist den Bewohner_innen bewusst, dass hier ihre letzte Station ist. Dies führt zu einer oft entwaffnenden Ehrlichkeit.“

“Was glaubst denn du?“

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Elisabeth Witzeneder erzählt mir von einer ihrer eindrücklichsten Begegnungen. Ein Obdachloser, den alle nur unter den Namen „Asterix“ kannten, hat seine letzte Lebensphase in St. Barbara verbringen dürfen. Jeden Tag haben sie sich voneinander verabschiedet. Berührung konnte er jedoch schwer zulassen. Dass ihn seine Kräfte bald verlassen würden, lag bereits in der Luft, und so verabschiedete sich Elisabeth Witzeneder auch diesen Abend mit den Worten „Sehen wir uns eh am Montag?“ Und Asterix legte seinen Kopf auf ihre Schulter und antwortete: „Was glaubst denn du?“. Noch heute ist sie tief berührt, wenn sie von dieser Begegnung erzählt. „Dieser Mensch hat mir so viel Vertrauen entgegengebracht, dass es mir die Tränen in das Gesicht drückte.“

Es sind besonders diese kleinen und flüchtigen Momente, die von Kostbarkeit und Unwiederbringlichkeit erzählen, von denen mir auch die diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegerin Anita erzählt. „Es sind die Alltäglichkeiten. Wenn man den Bewohner_innen Gelegenheit geben kann, dass sie etwas aussprechen können, ohne dass man gleich eine Handlung setzt. Wenn sie einfach nur klagen wollen, wenn sie nicht mehr leben wollen, und man ist einfach da und hört ihnen zu“, so DGKP Anita. Für Anita stehen „die Bewohner_innen immer an erster Stelle“ und dafür bedarf es gewisser Grundhaltungen: „Geduld, Respekt vor der Autonomie und Individualität jedes Einzelnen.“ Die diplomierte Gesundheits- und Krankpflegerin arbeitet seit ihrem 17. Lebensjahr im Kontext Krankenhaus und hat Erfahrungen auf der Abteilung für Onkologie gesammelt. Wobei sich das Begleiten der Bewohner_innen im Hospiz ganz wesentlich von den anderen Bereichen unterscheidet, denn im Hospiz hat man plötzlich Zeit sich „den seelischen Schmerzen, die oft als körperliche Schmerzen erfahren werden, zuwenden zu können“, so DGKP Anita.

„Wenn man es als Gesunder schon nicht geschafft hat, sich zu versöhnen, wie solle man das dann als Kranken noch schaffen?“

Anita

Auch jetzt bin ich neugierig darauf, ob sich einem die großen Fragen am Lebensende stellen und in den Vordergrund drängen. Anita bietet mir hierfür eine erhellende Perspektive: „Das ist so eine große Vorstellung, dass jeder versöhnt gehen muss. Wenn man es als Gesunder schon nicht geschafft hat, sich zu versöhnen, wie solle man das dann als Kranker noch schaffen? Auch wenn etwas nicht so gut gelaufen ist im Leben, dann muss man darauf vertrauen, dass die Bewohner_innen einen Weg gefunden haben, damit umzugehen.“ Das Pflege- und Betreuungspersonal versteht sich als Resonanzraum dafür, die großen Fragen nach Gott und der Welt in den Raum stellen zu können, wenn ein Bedürfnis seitens der Bewohner_innen danach spürbar wird.

Anita berichtet mir davon, als wie kostbar sie es erfährt, wenn Angehörige der Einladung folgen, sich vom Verstorbenen nochmals verabschieden zu können. Oft herrscht eine Unsicherheit und Angst vor und das Bedürfnis, die Verstorbenen so in Erinnerung behalten zu wollen, wie man sie gekannt hat. Schwester Anita beschreibt das Antlitz der Verstorbenen als „friedlich, oft mit einem Lächeln auf dem Gesicht.“ Und wenn sich Angehörige dafür entscheiden, den Raum noch einmal zu betreten, dann sind sie häufig von großer Dankbarkeit erfüllt. „Das war so gut, dass wir da waren“, erinnert sich Anita an viele letzte Begegnungen mit Angehörigen. Die tägliche Konfrontation mit dem Dasein am Lebensende bedeutet für Anita eine intensive Auseinandersetzung mit der eigenen Endlichkeit. „Super, ich darf 40 Jahre alt werden. Ich darf mich bewegen, bin unabhängig. Man beginnt das Leben plötzlich anders zu schätzen.“

„Für manche gibt es nichts. Für manche gibt es den Himmel.“

Auch für den diplomierten Gesundheits- und Krankenpfleger Johannes Ganglberger geht es in seiner Tätigkeit im Hospiz um „ein Leben in der letzten Phase. Es ist nicht sterben.“ Für die Bewohner_innen geht es darum, „sich in ihrer Krankheit selbst zu finden“, so Ganglberger. Das Hoffen spielt dennoch bis zum Ende eine wesentliche Rolle: „Sie kämpfen um ihr Leben und wollen so gut wie möglich leben bis zum Schluss. Für mich bedeutet dies, sie zu unterstützen in ihren jeweiligen Bedürfnissen, dergestalt, dass sie heute, in diesem Moment zufrieden sein können.“ Es braucht dafür ein „geduldiges Aushaltenkönnen, Ruhe, Einfühlungsvermögen und auch Klarheit im Reden und Tun. Das wichtigste ist, dass man Achtung vor den Bewohner_innen hat, man ihnen Zeit schenkt und sie sich Wahrgenommen fühlen.“

Johannes Ganglberger

Ich folge gespannt den Ausführungen von Herrn Ganglberger, der mir auch von den ganz individuellen „Spiritualitäten“ der Bewohner_innen erzählt: „Für manche gibt es nichts, für manche gibt es einen Himmel. Manche stellen die Sinnfrage. Manche sind des Lebens müde und dann ist im nächsten Moment wieder ganz viel Leben da, so voll und ganz.“ Für Johannes Ganglberger sind es jene Momente, die zutiefst berühren, „wenn Menschen noch lachen können, wenn sie glücklich wirken und man das Gefühl bekommt, sie haben es angenommen, nichts in der Hand zu haben.“

„Was will ich wirklich für mich?“

Auch sein Blick auf das eigene Leben hat sich gewandelt durch die Alltäglichkeit des Todes. Es sind Fragen wie: „Was ist mir wirklich wichtig? Was brauche ich im Leben? Wie verbringe ich meine Zeit? Was will ich wirklich für mich?“, die Ganglberger umtreiben und ihn ermutigen, es nicht nur „zu wissen, dass man sterblich ist, sondern es auch zu fühlen und es zu verinnerlichen.“ Was er persönlich gelernt hat, ist sicherlich das „Neinsagen können“, „sich selbst und das Gegenüber wertschätzen lernen und geduldiger zu werden. Mich ärgert fast gar nichts mehr. Das, was ich den Bewohner_innen unbedingt mitgeben möchte, ist, dass sie einen freien Willen haben entscheiden zu können, was gut für sie ist, auch wenn dies bedeutet, dass ich es aushalten muss zu sehen, dass sie nicht schlafen wollen, dass sie wenige Schmerzmittel wollen, weil sie leben wollen und sich selber spüren wollen.“, so Ganglberger.

Johannes Ganglberger hat selbst schon sehr früh gelernt, Abschied zu nehmen. Er erinnert sich noch gut an den frühen Tod seiner Mutter. Er war erst acht Jahre alt. Es war eine Zeit, in der die Toten noch 3 Tage lang zu Hause aufgebahrt waren, damit sich Freunde und Familie verabschieden konnten. Der Tod war somit ein ganz natürlicher Teil des Lebens. Diese Erfahrung möchte er auch an die Angehörigen weitergeben. Dass der Tod eines lieben Angehörigen erst wirklich begriffen werden kann, wenn man seinen Lieben nochmal „angreifen“ darf. „Manche Angehörige legen sich ein letztes mal ins Bett dazu. Es fließen Tränen, man selbst lässt auch Tränen zu. Es kann gemeinsam gewaschen und angezogen werden. Und viele verhärmte Gesichter erscheinen nun ganz weich“, schildert mir Johannes Ganglberger.

Nun möchte ich es nochmals versuchen mit Herrn N. und seinen großen Fragen über Philosophie, vielleicht über Gott und die Welt und den Menschen. Doch nun hat er Besuch und grade keine Lust mehr auf Philosophie. Wie flüchtig doch Momente und Begegnungen und das Leben an sich sind.

Wie dankbar ich um diesen Tag bin! Wie dankbar ich allen Mitarbeiter_innen des Hospizes St. Barbara bin, dass sie sich auch für mich Zeit genommen haben, mir Einblicke in ihre Gedanken, Hoffnungen und Ideen vom Leben, das den Tod als wesentlichen Teil des Alltags miteinschließt, gewährt haben.

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Ich bedanke mich bei allen im Hospiz St. Barbara für die wunderbaren Gespräche.

Aus.Halten

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Zeit der Wunder

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