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Einem Wunder beiwohnen

Einem Wunder beiwohnen

Ich habe keine Anleitung für ein spirituelles Leben. Nein, das könnte ich gar nicht. Dafür bin ich selber zu sehr auf der Suche, als dass ich Antworten zu geben wüsste. Was Wunder wirken? Da nähere ich mich an. Da brauch ich ganz viel Hilfe. Insofern stellt die Wundersuche einen Selbstversuch dar. Wie man im Rauschen des Alltags der Langsamkeit Raum gibt. Ich merke, das ist wichtig und nötig. Auch, dass ich mich meiner eigenen Langsamkeit stelle, die mir manchmal förmlich im Nacken sitzt. Wie man sich selbst zur Frage wird und mit sich versöhnlich stimmt, besonders dann, wenn man stolpernd aus dem Rahmen zu fallen droht, hoffend, nie ganz verloren zu gehen. Mehr noch: erst dadurch festen Grund unter den Füßen zu spüren bekommt. Ich ahne, auch das gehört dazu.
Zu oft ergreift mich selbst das Gefühl, nicht so recht reinzupassen mit dem, was mich umtreibt, in der Weise wie ich es bearbeite. Oft ist es eine einzige Begegnung, ein Satz, ein Gespräch, das mich tagelang grübeln lässt, sodass viele Dinge einfach zur Seite gestellt werden. Natürlich holen sie mich wieder ein, denn sie sind bekanntlich schneller als ich, und plötzlich stehen sie mitten im Raum. Ein riesiger Berg, der immer größer zu werden droht, und das Wegschauen oder Zudecken lediglich für kurze Momente des Tages hilfreich erscheint.
Ja, die Wundersuche ist ein Versuch. Rührt an, auf und manchmal ganz schön durch. Es birgt die Frage, in welcher Weise ich in Resonanz treten kann mit dem, was mich umgibt und wie ich “dienlich” sein kann, Eigenes zu überdenken, sich kurz unterbrechen zu lassen, zu schauen, zu horchen, zu atmen. Und oft weiß ich gar nicht, wie das gehen könnte. Ohne den Selbstversuch jedenfalls nicht.
Nachdem mein Sohn auf die Frage hin, was die Eltern beruflich machen, sagte: „Meine Mama ist Wundersucherin“, drängt sich mir die Frage auf: „Was macht eigentlich eine Wundersucherin?“ „Was mache eigentlich ist?“ Wie gerne hätte ich eine Antwort darauf, die glasklar und eindeutig ist. Oft möchte ich wie der Fisch im Wasser sein und der Zugvogel auf dem Weg. Ich steh eher am Beckenrand und schaue staunend den fliegenden Fischen zu.

Wer bin ich denn, etwas erzählen zu können, das hält, was es verspricht? Oder ist das Versprechen auf der Suche zu bleiben Grund genug? Ich fühle mich ertappt. Denn genau das ist es, was ich Menschen zutraue, woran ich zutiefst glaube! Dass wir alle Wundersucher_innen sind oder im Begriff sind, es zu werden, und wir alle etwas zu sagen, zu erzählen haben, sodass es ein Gegenüber in die Lage versetzt, Ansprechperson und Zuhörer_in, Entdecker_in und Berührer_in zugleich zu sein. Dafür braucht es oft keine lauten und polternden Zeichen und Gesten, sondern Geduld und Zeit, damit gesagt werden kann, was noch im Verborgenen liegt. Es sind kleine und feine, zarte Spuren, die wir hinterlassen dürfen. Die in ihrer Wirksamkeit aber nicht unentdeckt und unbemerkt bleiben. Jede_r kann etwas anrühren, das in Schwingung versetzt.

Vor kurzem durfte ich ganz still einem Wunder beiwohnen. Aus der Ferne. Ich durfte zuschauen, wie jemand lächelte. Was für ein Moment. Ich beobachtete eine heitere Menschenrunde, die wohl den Geburtstag einer anwesenden Person beging, denn Blumen und kleine Päckchen standen auf dem Tisch. Jede gönnte sich ein Stück Kuchen und eine Tasse des besten Kaffees der Stadt. Eine Person verließ kurz die Runde um erneut an den Tisch heranzutreten. In der Hand hielt sie eine „Wundersucherin“ Karte, die sie kurz zuvor gefunden hatte. Sie kam zurück und hielt die Karte hinter ihrem Rücken versteckt, bis sie diese dem Geburtstagskind überreichte. Und plötzlich war mir klar: Sie, die ich aus der Ferne bestaunen durfte, war in diesem Moment gemeint. Sie war eine Wundersucherin. Das war die Weitergabe einer Hoffnung. Zusage, Wunsch und Aufmerksamkeit in einem Moment. Für mich war es, als dürfte ich ein klein wenig anwesend sein im Alltag dieses Menschen. Für diesen geschenkten Moment war ich sehr dankbar. 

Ja, manchmal sind es flüchtig gestreute Überraschungen, die ihre Wirkung entfalten, auch wenn wir nicht sehen und unmittelbar erfahren, wo sie landen, wer sie wie entpackt, annimmt oder verwirft. Ich muss nicht (immer) sehen, um zu glauben, dass Spuren zu hinterlassen auch neue Spuren nach sich ziehen lässt. Vielleicht ist die Vergewisserung gar nicht das Ziel. Aber die Hoffnung, dass es wirken möge, wandelt den eigenen Tag. Gestern hab ich selbst eine Karte zur Hand genommen und etwas notiert:
„Heute brauch ich einen großen Gott! Und Du, was brauchst Du?“
Ich habe sie abgelegt. Vielleicht wird sie gefunden. Vielleicht verschwindet die Frage im Nebel.

Auf meine Rückfrage, was mein Sohn denn geantwortet hatte auf die Frage, was eine Wundersucherin denn so mache, bekam ich eine klare Antwort: „Na, sie sucht Wunder. Weil sie doch selber ein Wunder ist.“

Ja, das ist es, was ich dir wünsche und dir zusagen möchte:
Du bist das Wunder! Ich wünsche dir kurze Momente des Tages, die du dir gönnst, um dir staunend selbst zu begegnen um tastend, suchend zu fragen: „Was brauche ich?“ „Welche Spuren mag ich legen?“


Sand und Wolle

Sand und Wolle

Manchmal sprachlos ...

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