Vom Tod und vom Schnitzel
Am Tag als die Restaurants in Linz wieder öffneten, dachte ich doch glatt, den Duft des Gelben Krokodils quer über den OK Platz in der Nase zu haben. Obwohl mein Sohn anmerkte, dass es doch nur Pizza sei. Wir waren gerade am nach Hause weg von unserer Highlight-Tour zum DM Markt. Mit der perfekten Kinderzahnpasta, Gummibärchen und einem Lippenstift in der Tasche, gingen wir unserer Wege. Beobachteten dabei offene Türen, bepflanzte Schwellen der Restaurants, die nun erste Gäste empfingen. Wir ließen uns ganz still ein wenig treiben und beobachteten. Bis mich eben die Sehnsucht packte. Und ich der Meinung war, die Luft erfüllt zu wissen von Mangold Lasagne, Sambar und Schokokuchen mit Hollerröster. Gemeinsam stiegen wir die Treppe hinunter. Der Efeu hatte schon begonnen sich seinen Weg hinauf zu bahnen und begrüßte uns ganz freundlich. Einen kurzen Blick hinter die Scheiben erhaschen. Ein flüchtiger Blick auf die Speisekarte und für einen Moment davon träumen auch wieder Gast sein zu dürfen. Beim Aufstieg erlebte ich ein stilles, seufzendes Kind und deutete es als Enttäuschung, weil ich ihm in den vergangenen Wochen nie ein Schnitzel kredenzte. Nach ein paar Schritten brach es dann doch aus ihm heraus: „Mama, soll ich dir sagen, warum ich jetzt so traurig war?“ Ich war gespannt, was er sich denn gewünscht hätte. Er erläuterte weiter, was er in diesem Moment empfand. „Weißt du, alles ist plötzlich so anders. Alles verändert sich. Plötzlich ist alles wieder offen. Sogar der Lift geht vielleicht wieder nicht. Und da hab ich daran denken müssen, dass du runzelig wirst. Und dass du grau wirst und alt. Und dass du sterben wirst und das will ich nicht.“ Puh. Vom Schnitzel zum Tod.
Wir öffneten unsere Eingangstür. Der Lift funktionierte noch. Den Spiegel darin schätze ich aus mehreren Gründen. Ich knuddelte mein Kind ganz fest. Wir betrachteten unser Bild. Noch nie war ich mir auch nur einer Sache so sicher: „Ich verspreche dir eins: egal, wie runzelig und alt ich werde. Mich wirst du nicht los. Damit musst du leben. Ich werde dich immer, und immer und immer knuddeln. Auch wenn sich rundherum alles verändert. Meine Liebe, die bleibt.“
Er kicherte angesichts meiner Knuddelattacke und offenbarte mir gleich noch seinen Wunsch nach einem Grab, wo dann auch seine Freunde liegen sollten. Ah ja, und wir dürfen natürlich auch daneben Platz nehmen. Gut, dann hätten wir auch das geklärt. Wir betraten unsere Wohnung. Vom Plattenspieler ertönte „All you need is love“ wir bemalten das „Naturforscherinnen Bingo“ das ein wenig zum „Stadtforscherinnen Bingo” umfunktioniert wurde. Staunten über das, was sich finden lässt und was verborgen blieb. Wo wir noch ein zweites und drittes Mal ein klein wenig genauer hinschauen müssen.
Erkenntnis dieses Tages. Und ich merkte, da lag etwas Corona-Überdauerndes drinnen: Manche Dinge sind so klar, da muss ich gar nicht dran denken, eine Münze zu werfen. Da fühlt man durch und durch, dass es richtig ist. Wie kostbar.
Es war mir wohl nicht bewusst, wie sehr sich Rhythmuswechsel, Taktverschiebungen, einverleibte Routinen und neue Rituale, offene und geschlossene Wirtshäuser auf individuelles Zeitempfinden auswirken können. Dass nicht nur der „shutdown“ vorbereitet werden will, sondern auch ein „lift up“ Nachbereitung verlangt. Ob Schließen oder Öffnen, ja, selbst wenn die Erde zu beben beginnen sollte und sich alles fühlbar mit ihr dreht. Die Liebe ist groß und mächtig. Die Liebe hält allem stand.