Categories


Authors

verwandt

verwandt

Ich mag es, wenn es poltert, blitzt und donnert und es regnet wie aus Kübeln. Ich mag es auch, wenn am morgen danach der Himmel wie rein gewaschen erscheint und die Wolken sich wie eine Armee aus Schildkröten schläfrig vorwärts bewegen. Ich beneide sie, diese weißen Formationen, die stets in Bewegung sind, und fragte ich sie nach dem Weg und Ziel, sie wüssten nichts zu erwidern. Es genügt ihnen wohl, sich treiben zu lassen von den Lüften, die sie von einem Land in das andere befördern. Ich sitze am Balkon und bestaune den Himmel, so wie ich den wilden Mikrokosmos, den ich Garten nenne, bewundere.
Eine erste Tomate kleidet sich in knalliges rot. Ich beneide auch sie. So schön ist sie anzusehen und fragte ich sie danach, ob sie es nicht leid sei immer wieder die gleiche Farbe zu tragen und ob es nicht doch lustiger wäre, sich auch mal in lila zu sonnen, so wüsste sie keine Antwort zu geben. Vielleicht würde sie lächeln über meine unsinnige Frage. Denn warum sollte sie auch werden wollen, was nicht gedacht ist, werden zu sollen.
Ich beobachte die Blattschneiderbiene, die kommt und geht und wie sie sich einen Weg gebahnt hat unter das über die Jahre rostig gewordene Balkonkisterl, wo unten ein Loch ist, so wie es mir meine Mama aufgetragen hatte. Denn Pflanzen, die wachsen wollen, bräuchten Luft nach unten. Ich beneide sie um ihre Fähigkeit unermüdlich nach saftigem grün Ausschau zu halten, wie sie eins um das andere abnagt und sorgfältig zu einer Rolle formt, die sie leichtfüßig zwischen ihren Beinen trägt und sie ins Innere der Pflanzenkiste befördert. Wo den Blicken entzogen und verborgen etwas gebaut wird, das ich nie zu Gesichte bekommen werde. Ach, könnte ich sie nur einmal fragen, ob sie nicht müde sei zu tragen und zu bauen für die nächste Generation.
Sind keine Lilien und keine Vögel, ob sie säen oder ernten, verbrauchen und vollbringen, vielleicht viel mehr als meine Vorstellung reicht. Sie vermögen zu pflanzen. Heute. Flüchtige Bilder in meinem Kopf. „Vom tätigen Leben“. Und von Kontemplation. Vom Verweilen und vom Aufbruch. Von Bewegung und der Fähigkeit zu Ruhen. Von Farbigkeit und Leichtigkeit. Vom Bewohnen und vom Übersiedeln. Vom Auszug und dem Einzug in ein altbekanntes doch wohlig vertrautes Ich. Vom Auftrag und der eigenen Berufung, die man manchmal ganz deutlich in sich spürt, ohne stets Gründe angeben zu können, warum man tut, was man schlicht tun muss. Ein verkörpertes, ganz natürliches Wissen, das zur Welt kommen will, ohne eine schier übermenschliche Aktivität, die an die Grenzen des Machbaren treibt.

Alles braucht seine Zeit! Alles hat seine Zeit. Lege ich der Tomate in den Mund.
Flügelschlag um Flügelschlag! Ein Ratschlag der Biene.
Lass dich treiben! Was für ein wohltuender Gedanke der Wolke.

So lange Schauen wie der Atem lang ist. So lange Schweigen, bis die Frucht doch ein Liedchen zu summen beginnt. So lange sprachlos verweilen, bis der blättrige Tunnel bis zu meinen Zehenspitzen wandert. Genügend Lücken in der Erzählung. Nicht alles muss ich wissen, wie es wird und wie es war, wie es gedacht ist, was mir bestimmt. Heute beginne ich mit einem aufrichtigen, wachen Horchen.
„Bruder Sonne. Schwester Mond“ besingt der Hl. Franziskus die Schöpfung. Jeder Atemzug, jeder Klang, jedes Säuseln wird für ihn zum gemeinsamen Gebet. Ich sage danke, Freundin Biene. Geliebte Tomate und Partnerin Wolke. Für heute lass ich es gut sein mit meinen Fragen und bedanke mich für Eure Geduld. Meinen Blicken standzuhalten ist wahrlich manchmal fordernd. Seid gewiss. Mein stilles Schauen möcht ich heute in leises Staunen verwandeln. Über dich und über mich.


#1

#1

Schnee im Mai

Schnee im Mai