Pausen.Wege
Für eine Woche lang erprobe ich ein und dieselbe Runde zu gehen. Mit einem eingeplanten Stopp. Mit dem morgendlichen Kaffeehaus-Besuch im Freien kommen auch die Spatzen und naschen von dem, was unter den Tisch fällt. An diesem Ort sind sie besonders listig geworden und setzen sich sogar zu mir an den kleinen, runden Tisch. Ich mag es frühmorgens hier zu sein um nach einer Woche derselben Gänge zu beobachten, wer kommt und wer geht. Erstaunlich, welch Dorfgefühl in mir aufkommt, wenn auch am dritten Tag die selbe Dame hinter mir sitzt und ebenfalls ihr Notizbuch auspackt, wenn der Jogger vorbei rast und die alte Dame mit Stock, Kopftuch und ihrer Einkaufstasche über den grauen Pflasterstein spaziert. Wenn die Puch-Fahrräder an mir vorüberziehen und der Junge mit seiner Yoga-Matte unter dem Arm vorbei schlendert. Ich staune, wie viele Rucksack Träger_innen es gibt, und wie sich die Modelle ähneln. Die Sessel werden gestellt für ankommenden Gäste. Die Gastronomiebesitzer_innen begrüßen, besuchen sich und helfen einander aus. Der Brunnen beginnt auf die Minute genau sein Wasser frei zu geben. Die Baby-Dogge will nicht weitergehen und robbt mitten auf der Straße so lange auf Rücken herum, bis sich Herrchen erbarmt und das herzige Ding krault und streichelt bis es heißt: „Jetzt müssen wir aber wirklich gehen!“ und der kleine Hund drei Schritte macht um sich sogleich wieder auf den Rücken zu legen. Der ein oder andere LKW schlängelt sich durch die Gasse. Oft sind wir nur einige Zentimeter voneinander getrennt und ich staune über meine Kühnheit sitzen zu bleiben und über die Kunst des Fahrens in engen Gassen.
Ich nippe am Kaffee mit Milchschaum in rein weißem Geschirr als ein Mann auf mich zukommt. Ich hatte ihn nicht kommen sehen. Wie aus dem nichts taucht er auf. Einen bodenlangen, wollenen schwarzen Mantel trägt er. Es ist zwar morgens und die Luft ist noch kühl, doch bereits in Stunden wird sich die Stadt in einen Glühkessel verwandeln. Gut, er könnte den Mantel ablegen, aber ich vermute, dies wird er nicht tun. Er trägt eine Kopfbedeckung. In schwarz gehalten mit eingewebten oder aufgeklebten Heiligenbildern. Ein weißes T-Shirt mit einer Madonnendarstellung lugt hervor. Der Mann erscheint mir verhältnismäßig klein. Seine Schritte sind es auch. So steht er vor mir und lächelt mich an mit einer weißen Brille im Gesicht.
„Sind sie eine Schriftstellerin?“ „Nein“, erwidere ich ihm. „Sind sie eine Dramaturgin? Eine Dichterin? Eine Schauspielerin?“, fragt er weiter. „Nein, nichts von dem bin ich. Aber ich mache mir Notizen“, versuche ich etwas verlegen zu erklären. „Ah, dann sind sie eine Notizerin.“ Ja, denk ich mir, das ist schön, das gefällt mir und bestätige seine Vermutung. „Ja, dann bin ich eine Notizerin.“ Ob ich Latein könne will er wissen und nimmt nicht weiter enttäuscht zur Kenntnis, dass es lediglich Deutsch ist, das mir hilft, meine Notizen zu machen. „Deutsch ist eine schöne Sprache, wenn man sie beherrscht“, betont der schwarz gekleidete Mann. „Die vielen Fälle, viel mehr als im Englischen.“ Ich erwiderte ihm, dass wenn ich Notizen mache, ich das Gefühl hätte, die Sprache nicht beherrschen zu müssen. Ich mir dabei recht viel erlaube, ich jedoch jeden Menschen bewundere, die/der weiß wie man Punkt und Komma setzt und Nähe und Distanz zwischen Wörtern und ihren Bedeutungen abzuschätzen weiß. Der Mann hört zu. Er nickt. Blickt mich schmunzeln an und sagt: „Ich mag das Wort ,spiritus’, wissen Sie, das ist Latein, das heißt geistreich.“ Dann setzt er an zu gehen. Erkundigt sich noch, ob denn der Kaffee gut hier sei. Ich bezweifle, dass er Kaffeehausbesuche zu seinen Routinen zählt und betone, dass ich sehr zufrieden sei. Er hebt seinen Arm, eine Orangen Limonaden Flasche in der Hand: „Ich bevorzuge dieses Getränk!“ Er schmunzelt, seine Augen kann ich nicht sehen. Der Mann verabschiedet sich verbeugend und wünscht mir ein schönes Notieren. In kleinen Schritten zieht er weiter um einen Blick in den nächsten Hinterhof zu werfen. Ich nehme einen Schluck aus meiner Tasse. Mein Kaffee ist kalt geworden. Notizerin, das Wort mag ich. Überrascht zu werden meistens auch. Geist weht wirklich wie sie will.