Ich suche. Ein Gebet. Für Dich
Manchmal sitze ich im Zug und höre Gesprächen von Fahrgästen zu. Nicht, dass ich sie belauschen würde, aber manchmal ist das Unerhörte laut und bahnt sich den Weg durch die Räume. Es geht mir in letzter Zeit ähnlich, wenn ich auf der Parkbank sitze oder im Café. Manchmal ist es schlicht ein stummes Gesicht, das mir immer wieder begegnet, weil wir Alltagswege teilen. Ohne dass ich Menschen kennen würde, aber ich erkenne sie. Die Körper und Gesichter machen mich nachdenklich. Ich lausche den Erzählungen Fremder, die mir nahegehen und traue mich nicht zu sagen: Das tut mir so leid. Ich höre dich. Ich sehe dich. Kann ich etwas Gutes für dich tun?
Themen kehren wieder. Worte kreisen durch den Raum. Wie vieles wohl unausgesprochen auf den Körpern haftet? Manchmal ist es spürbar. Liegt in der Luft. Häufig kann ich es hören. Erzählungen von Überforderung, von Trauer und Verlust. Von psychischen Erkrankungen und der Ohnmacht, die man dabei empfindet. Von der Sehnsucht, dass es einfach wieder gut werde.
Corona erscheint mir an manchen Tagen aus dem Mittelpunkt gerückt, sich irgendwie im Außenkreis befindend und manchmal drängt es spiralförmig hinein in den Innenraum. Wir mussten die kollektive Erfahrung unserer geteilten Verletzlichkeit machen und dass nicht alles kontrollierbar ist. Gleichsam traf das Virus Viele härter als andere. Wir waren gefordert, Alltag anders zu denken und zu strukturieren, mussten Neues begrüßen und Bekanntes, Gewohntes, Geliebte verabschieden. Unsere vertrauten Symbolhandlungen und Rituale wurden auf den Kopf gestellt, bzw. rissen Leerräume auf, in denen vielleicht die Frage gestellt wurde: Wie wollen wir das verarbeiten? Wohin mit den Widerfahrnissen? Wohin mit meiner Sehnsucht?
Ich kann nur erahnen, welche Erfahrungen sich in manch körperliches Gedächtnis einverleibt haben. Wo Gefühle sich über die Haut gelegt haben, die schwer abzustreifen sind oder verschüttet am Herzen liegen, und das freie Atmen erschweren. Unbegreifliches, das sich abgelagert hat, das man irgendwo ablegen möchte. Eindrücke, die so schwer wiegen, dass sie für einen alleine nicht tragbar erscheinen. Das macht mich nachdenklich...
Meine Kollegin Katharina Brandstetter und ich wurden unlängst gefragt, ob wir im Rahmen einer Tagung etwas zur Rolle digitaler Übertragungen von Gottesdiensten in Zeiten von Corona zu sagen hätten. Wir haben gemerkt, wir konnten wenig dazu sagen, da wir uns selten angesprochen, wirklich „gemeint“ fühlten. Die Frage wurde in uns drängend, was uns denn fehlte und welcher spiritueller Impuls, welche Form des Gebets uns angesprochen hätte?
Ich erfahre den digitalen Raum als echten Begegnungs- und Kommunikationsraum, wo Beziehungen wachsen dürfen – dahingehend wurde ich seit Corona unglaublich beschenkt – und vermute gleichsam, dass nicht jede analoge Form passgenau übertragbar ist, weil zu persönlich, zu intim, weil nicht alles zeigbar sein muss, weil es mir „heilig“ ist und ich mich dennoch mit-getragen wissen darf. Wir sind auf der Suche nach einem Gebet, das Menschen anspricht, weil sie bedingungslos gefragt sind, mit allem, was sie ausmacht, sie beschäftigt, mit allem, was sie betrifft, mit dem, was sie von sich zeigen möchten. Wir suchen ein Gebet, das Dich meint!
So versuchen wir uns als Sammlerinnen von dem, was schwer wiegt, was Dir zu schwer geworden ist, um es in einer Symbolhandlung, einem Gebet abzulegen, in der Hoffnung, dass Hin-Gabe Wandlung und Erleichterung ermöglichen kann, auch dann, wenn jemand stellvertretend für mich betet. Denn Beten heißt, in Achtsamkeit und Aufmerksamkeit jemanden in seinen inneren Dialog mit Gott hineinnehmen. Wir wollen dies in aller Aufrichtigkeit tun.
Alles, was wir sammeln an Gefühlen, Erzählungen, Eindrücken, Wörtern, die Du uns mitteilen möchtest, werden Eingang finden in dieses Gebet. Die Form wird durch Dich und mit Dir geschaffen. Ebenso werden Ort und Zeit erst nach der Ver-Sammlung eurer Worte definiert. Alles, was Du uns mitteilen möchtest, wird vertraulich und anonym behandelt. Du darfst dir gewiss sein, das, was Du uns mitteilen möchtest, wird Eingang finden in die inhaltliche Gestaltung des Gebetes, in die Texte, die wir formulieren, in die Melodien, die erklingen, in die Symbolhandlung, die wir wählen. Das, was Dir schwer auf dem Herzen liegt, wird hineingenommen in den Gebetsraum und symbolisch abgelegt.
Wenn Dich dieser Aufruf anspricht, dann bitten wir Dich, Deine Erfahrungen mit uns zu teilen. Wir würden uns sehr freuen, von Dir zu lesen.
Hast du etwas verloren, das du beweinst?
Ist etwas unwiederbringlich, das du so sehr vermisst?
Gibt es Verwundungen, die einfach nicht heilen wollen?
Welche Angst möchtest du dir vom Leibe schreiben?
Wonach sehnst du dich?
…
Darf ich Dir etwas abnehmen – ich lege es gerne für Dich hin. In einem Gebet, das seine Form finden wird, an einem Ort, der sich zeigen wird, zu einer Zeit, die sich anbieten wird. Eine Einladung dazu erfolgt. Wir sammeln alle Texte, Wörter, Eindrücke bis zum 1.9.2021