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„Ein Stück vom Himmel“ – Interview mit Prof. Dr. Hildegard Wustmans

„Ein Stück vom Himmel“ – Interview mit Prof. Dr. Hildegard Wustmans

Prof. Dr. Hildegard Wustmans war von 2009 – 2017 Professorin für Pastoraltheologie an der Katholischen Privatuniversität in Linz. 2017 kehrte sie als Dezernentin für Pastorale Dienste in das Bistum Limburg zurück. Seit 2019 leitet sie kommissarisch das Dezernat für Bildung und Schule. Zudem ist sie außerplanmäßige Professorin für Praktische Theologie an der Goethe-Universität Frankfurt a. M. Seit ihrer Zeit als Professorin in Linz habe ich – als studentische Mitarbeiterin am Institut – sie als intellektuelle Gottsucherin, kreative Kirchengestalterin und Mentorin kennen- und schätzen lernen dürfen. Für den Blog wundersucherin.at durfte ich sie zum Interview bitten.

Danke für deine Zeit und das Interview. In der Vorbereitung auf dieses Gespräch, habe ich mich bewusst dafür entschieden, weniger über kirchenpolitische Themen mit dir diskutieren zu wollen, sondern mehr nach deiner persönlichen Spiritualität zu fragen, da ich der Überzeugung bin, dass es genau diese Erzählungen sind, die Menschen neugierig machen, die sie interessieren und inspirieren nach den eigenen Zugängen zu ihrem Lebensglauben zu fragen. Du vereinst in deiner Person vielfältige Rollen und Aufgaben. Wie würdest du deinen Alltag momentan beschreiben?

Wustmans: Videokonferenz-gesteuert. So ist der Alltag. Corona-bedingt, habe ich kaum analoge Treffen, das nun schon seit fast einem Jahr. Die Pandemie hat uns dazu gezwungen, so gut wie alles in digitalen Formaten zu planen und durchzuführen. Von unseren wöchentlichen Gesprächen in der Bistumsleitung, bis zu Abteilungsleitungsgesprächen, aber auch Begegnungen mit Menschen aus Pfarreien – alles findet digital statt. Und ich stelle bei mir, den Kolleg*innen und Mitarbeiter*innen fest, wie sehr wir uns nach analoger Begegnung – auch im Arbeitsalltag – sehnen. Inzwischen gibt es eine virtuelle Kaffeepause für Mitarbeitende, die ja nun fast ausnahmslos im Home-office sind, um Kontakt zu halten und Austausch über die Dinge im Alltag zu ermöglichen. Wir arbeiten auch unter diesen Corona-Bedingungen nicht nur zusammen, sondern auch an unseren Arbeitsbeziehungen. Gerade jetzt wird vielen bewusst, dass wir eben Arbeitsbeziehungen haben und deswegen den persönlichen Umgang so schmerzlich vermissen.  

Möglicherweise hast du bereits die nächste Frage beantwortet. Besonders angesichts dieser sehr herausfordernden digitalen Beziehungsarbeit. Was sind momentan die herausforderndsten Aspekte deines beruflichen Alltages?

Wustmans: Herausfordernd ist es, Kontakt zu halten. Mit den Mitarbeitenden in Kontakt zu bleiben. Mit den Kolleginnen und Kollegen, und natürlich auch mit den Studierenden. Ich merke, das In-Kontakt-bleiben jetzt auch heißt, intensiv nachzudenken: Wie geht das mit Kirche weiter? Wir haben Corona und vieles wird wie durch das Brennglas sichtbar. Das gilt auch für die Gesellschaft. Wie reagiert man darauf? Wie evaluieren wir bereits im Prozess? Wie gehen wir mit zurückgehenden Ressourcen um? Da braucht es viel Begegnung, viel Kontakt, viel gemeinsames Nachdenken. Das ist jetzt besonders wichtig.  

Du hast bereits angesprochen wie wichtig es ist, die Fragen nach kirchlichen Entwicklungschancen jetzt zu stellen, dass gesellschaftlich vieles wie im Brennglas sichtbar wird. Wenn Kirche Sakrament ist, sie Zeichen und Werkzeug der Liebe Gottes für die Menschen sein will, wie muss Kirche gegenwärtig diese sichtbaren Zeichen setzen, um etwas von dieser Hoffnung erfahrbar werden zu lassen?

Wustmans: Erstmals glaube ich, dass Kirche durch die Christ*innen präsent ist, nicht nur wenn man an das Institutionelle von Kirche denkt. Ich weiß von großartigen pastoralen Projekten, wo Mitarbeitende beispielsweise regelmäßig alte Menschen anrufen, die sie nicht erreichen können, weil diese kein Internet haben, somit nichts streamen können. Wieder andere schreiben Karten. Andere werden kreativ, indem sie über youtube versuchen, Botschaften z.B. zum Valentinstag in die Welt, in die Pfarrei zu schicken. Von Simone Weil stammt der Gedanke, dass Aufmerksamkeit Gebet ist. Unter dieser Definition sind viele kirchliche Mitarbeitende, Haupt- und Ehrenamtliche präsent und geben die Hoffnung weiter, weil sie achtsam sind für die Menschen und für die Situationen, in denen und mit denen sie gerade leben.

War es eine große Herausforderung, sich relativ schnell auf diese neue Situation der Digitalisierung einstellen zu können?

Wustmans: Nein. Also ich bin wirklich sehr, sehr dankbar und geflasht wie gut und mit wie viel Energie und Kreativität und Neugierde Mitarbeitende sich auf diese Formate eingelassen haben. Daneben gibt es viele, die schon lange sagen, wir müssen uns digitalisieren. Und das ist im Großen und Ganzen gut und schnell gelungen. Da haben wirklich viele in der katholischen Kirche einen Quantensprung hingelegt. Ich muss auch sagen, dass ich der IT-Abteilung total dankbar bin, wie die Mitarbeitenden in kürzester Zeit mit technischem Equipment ausgestattet wurden. Die Kolleg*innen haben einen wirklich tollen Job gemacht. Außerdem haben wir jetzt auch eine Gruppe von Mitarbeitenden, die sozusagen, als interne Schulungsteams zur Verfügung stehen, kollegial anderen helfend zur Seite stehen, wenn es darum geht, eine gute digitale Konferenz durchzuführen. Bei großen Veranstaltungen gibt es Mitarbeitende, die als Host oder für den Technischen Support zur Verfügung stehen. Das ist einfach wunderbar.

In deinen Publikationen und Vorträgen schreibst und sprichst du häufig vom Stil und beziehst dich damit auf den Theologen Christoph Theobald. Wie beschreibst du deinen Stil „die Welt zu bewohnen“ (Merleau-Ponty). Welchen Stil wünschst du dir für Kirche – bzw. hat sich etwas im vergangenen Jahr dahingehend verändert, verändern müssen?

Wustmans: Das ist ja ein ganzes Bündel an Fragen. Also ich bin von diesem Gedanken fasziniert: Menschen sind Zeichen und Menschen geben Zeichen. Mit einem solchen Gedanken in der Welt zu sein, heißt, aufmerksam zu sein in dem Sinne, was will ich senden und achtsam zu sein auf das, was mir an Resonanz geschenkt wird, oder entgegen trifft. Stil hat etwas mit Dialog zu tun, ist etwas Responsorisches.
Ich weiß gar nicht wie ich meinen Stil bezeichnen soll. Da wäre es einfacher zu fragen: Wie nimmst du mich wahr? Halte ich, was ich verspreche? Setze ich um, woran ich glaube? Ich weiß nicht, ob mir das gelingt, jedenfalls ist das mein Anspruch und ich versuche es immer wieder. Ich glaube, Stilfragen haben viel mit Autorisierungsgeschehen zu tun. Eine Person mit Autorität ist eine Person, die einen Inhalt vertritt und danach handelt. Damit wird das, was diese Person tut, etwas Objektives, etwas Überprüfbares, Messbares. Genau in solche Autorisierungsgeschehen sind wir hinein katapultiert in einer besonderen Weise durch die Corona-Pandemie, aber auch durch die ganzen Enthüllungen der sexualisierten Gewalt. Kardinal Woelki sorgt gerade für Schlagzeilen. Da zeigt sich der Habitus einer „societas perfecta“, und dieser Stil kommt im wahrsten Sinne des Wortes nicht mehr an. Daneben gibt es in Deutschland den synodalen Weg und da kündigt sich ein anderer, ein neuer Stil an. Bei der ersten Konferenz wurde das deutlich, indem alle Anwesenden alphabetisch gereiht gesessen haben. Das bedeutete, dass der Erzbischof XY neben Frau Z platziert war. Da zeigte sich ein neuer Stil von Kirche und des Umgangs miteinander. Und von daher erleben wir im Moment, in diesen Kontexten richtig turbulente Zeiten, mancherorts konfliktive und allemal herausfordernde Zeiten.

Hattest du jemals das Gefühl, dass die Zerreissprobe, also so wie du die Situation beschreibst, mit einerseits deinem hohen Anspruch an Glaubwürdigkeit, und einem Lebensstil der ablesbar werden lässt, dass man hält, was man verspricht und anderseits diese „societas perfecta“, dich dahin führte, dass du am liebsten alles hingeschmissen hättest? Oder hast du für dich immer wieder Nischen gefunden, wo du gesagt hast, da kann ich gestalten?  

Wustmans: Hingeschmissen habe ich noch nichts. Aber was ich getan habe: Dinge ausgeschlagen. Da habe ich gesagt, da möchte ich nicht tätig werden oder sein. Das ist ein kleiner feiner Unterschied, die Souveränität zu haben, „Nein“ zu sagen.

Ich bleibe noch bei dem Stil-Begriff. Hat der Stil-Begriff mit Spiritualität zu tun? Was bedeutet Spiritualität für dich? Hast du deine spirituelle Praxis finden können, falls ja, was hat dir dabei geholfen eine solche Praxis zu etablieren?

Wustmans: Ich glaube, bei Spiritualität geht es darum auszuprobieren. Herauszufinden, was ist denn meins, und nicht etwas zu kopieren. Ich weiß, dass eine ganze Reihe von Kolleg*innen die Tagzeitenliturgien mitfeiern. Das mache ich gerne, wenn ich in einem Kloster zu Gast bin. Aber es ist nicht meine spirituelle Praxis. Ich bin aber textaffin. Ich lese jeden Morgen: Lesen. Nachdenken. Verweilen. Staunen. Antworten. Das mach ich im Moment mit biblischen Texten. Ich habe aber auch Zeiten, in denen ich gezielt Texte von Mystiker*innen lesen. Letztes Jahr in einer längeren Phase Texte von Thomas Merton. Lesen. Nachdenken. Verweilen. Staunen. Antworten. Und das ist etwas ganz Wunderbares, mit solchen Bildern, Gedanken, in den Tag zu gehen, weil sie gleichermaßen inspirieren, fokussieren.  

Hast du Gottesdienste vermisst?

Wustmans: Ich bin immer wieder Lektorin in den Gottesdiensten, die aus der Bischofskapelle gestreamt werden. Ich hatte einmal die große Freude mit Bischof Georg Bätzing eine Dialogpredigt zu halten und einmal einen Impuls zu einem Advent-Lied.  

Die Kirchen hatten ja geöffnet. Im Gegensatz zu vielen anderen Häusern. Mit der Begründung, offen zu halten für das persönliche Gebet. Das ist ein Thema, das mich persönlich sehr umtreibt. Was ist Gebet – in seiner Bandbreite? In welchem Formen und mit welchen Inhalten findet Gebet statt? Welche Definitionen für Gebet und welche individuellen Herangehensweisen gibt es? Du hast zuvor Simone Weil zitiert, dass Gebet Aufmerksamkeit sei, was mir sehr gut gefallen hat. Ich möchte dich nochmals fragen: Was bedeutet für dich Gebet? Was bedeutet es dir?

Wustmans: Ja, ich glaube, das ist eine treffliche Definition oder Beschreibung, weil sie so Gebet auf den Punkt bringt und gleichsam weitet. Weil es die Haltung des Gebets beschreibt aber nicht die Orte und die Formen, in denen das Gebet stattfindet. Das finde ich großartig. Achtsam in der Welt sein, kann ich in einer überfüllten U-Bahn. Ich kann es auch in einer Eucharistiefeier.

Beten geht überall?

Wustmans: Ja, geht überall, braucht aber Übung.

Wie übst du?

Wustmans: Wie ich alles übe!
Mit Regelmäßigkeit. Mit festen Zeiten. So wie ich Zeiten für das Training habe, gibt es Zeiten, in denen ich mich dann hinsetze: lese, nachdenke, verweile, staune ...

Wo entdeckst du deinen Gott? Wo hinterlässt er dir Spuren und musst du manchmal angestrengt danach suchen?

Wustmans: Ich glaube Gott findet mich, hat mich gefunden und das macht mich ganz entspannt. Wie soll ich das sagen. Diese Haltung, dieser Gedanke, diese Wahrnehmung macht mich gelassen und dankbar.

Er/es überrascht dich immer noch oder immer wieder mitten im Alltag? Er findet dich überall immer wieder mal?

Wustmans: Ja. Also, das klingt jetzt so groß. Deine Fragen, die du jetzt formulierst, klingen nach einem so großen Ding.

Sollen sie nicht sein.

Wustmans: Nein, es klingt aber so: Gott, wo und was, wie ...
Gott wirbt um Menschen. Also Gott ist verliebt in die Menschen und was machen solch verliebte Wesen. Sie senden Zeichen. Sie wollen gesehen werden. Wollen entdeckt werden. Und das passiert.

Wann hast du zum letzten Mal gestaunt?

Wustmans: Ich staune, wenn ich Kindern zuhören darf. Und zwar fasziniert mich an Kindern, dass sie sagen, was sie denken. Das finde ich unglaublich und das macht mich staunend. Diese Unmittelbarkeit finde ich großartig. Das finde ich super. Unmittelbar sein zu können. Bei Kindern kann man das lernen. Wann verlieren Erwachsene die Freude an der Unmittelbarkeit? 

Kannst du mir ein Beispiel des Staunens in der Begegnung mit einem Kind nennen?

Wustmans: Das ist z.B. ein Spruch, über den ich herzlich gelacht habe. Ich glaube, ich habe ihn später in der Süddeutschen auch gelesen – es müssen wohl mehre Kinder so etwas sagen. „Immer wenn’s am Schönsten ist, muss ich aufs Klo.“ Wir Erwachsenen sagen immer: „Wenn es am Schönsten ist, muss man gehen.“ Und das Kind sagt, wenn’s am Schönsten ist, muss ich aufs Klo! So was ist großartig. Wunderbar. Du kennst das wahrscheinlich von deinem Sohn auch.

Ja, ich mache auch die Erfahrung, dass so kleine Kinder Lehrer*innen ohne Maßen sind. Die einem den Spiegel hinhalten, wo sie mit Fragen konfrontieren, die so gut gestellt sind, und sie tatsächlich in der Lage sind, wenn man sie den lässt, sich die eigne Antwort darauf zu gegen. Wie schwierig es ist, eine plausible, richtige, eine aufrichtige, ehrliche Antwort zu geben ... und oftmals scheint es das Passendste zu sein, zu schweigen und zu schauen, wie sie denn selbst ihre Welt erklären.

Wustmans: Ich komme immer wieder morgens an Eltern vorbei, die ihre Kinder in die Kita bringen, und da find ich es irre mitzuerleben, wie diese Kinder ihre Eltern verlangsamen. Weil sie da jetzt noch über diese Mauer hüpfen müssen, oder eine Feder gefunden haben, und diese noch inspiziert werden muss. So was find ich großartig. Ich bin jetzt auch nicht die gestresste Mutter, die sagt: „Kind, eigentlich muss ich in zehn Minuten in meinem Office sein.“ Aber diese andere Taktung, die Kinder in die Welt bringen ist herausfordernd und schön. Diese andere Taktung ist ein Stück vom Himmel, und den bringen Kinder.  

Wunderbar. Da mag ich dir gerne beipflichten.
Wenn jemand zu dir sagen würde: „Was kannst du mir erzählen von der Schönheit deines Glaubens?“, dann würdest du antworten wollen...

Wustmans: Macht gelassener. Zuversichtlicher. Entspannter.
Glaube ist etwas, wo ich erfahre, es ist gut, daran zu bleiben.

Hat er dir auch Angst genommen? Besonders im Hinblick auf das vergangene Jahr.

Wustmans: Ja, klar.  Ich habe keine Angst. Also, dazu bin ich zu neugierig, als dass ich Angst haben könnte. Die würde mir ganz viele Dinge verwehren. Klar, ich habe Respekt vor so manchem, aber Angst habe ich nicht.

Schönes Schlusswort. Glaube nimmt die Lebensangst. Super. Ich dank dir für deine Offenheit, dein Erzählen und das Einblick gewähren.

Wustmans: Bitte gerne. Danke für die Anfrage.


Foto: privat

Licht.Schatten.Dasein - Frauenbilder im Linzer Mariendom

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poetischer Fußabdruck

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