Kompromisslose Achtsamkeit. Zu Gast im A / T Store
Im denkmalgeschützten ehemaligen Apothekerhaus Am Hofberg 10 in der Linzer Altstadt befindet sich der kleine aber feine A / T Store von Alina Wagner und Thomas Stöbich. Dort haben sich die beiden einen lang gehegten Traum erfüllt, einen Laden zu eröffnen, der den Lebensgeist des slow fashion atmet. Was den Wirtschaftspädagogen und die Biologin dazu bewegte, sich mit Minimalismus und Designfragen auseinanderzusetzen, erfahren Sie, wenn Sie jetzt neugierig geworden sind und weiterlesen möchten.
Wir sitzen vor dem kleinen Shop, den man beinahe übersehen könnte, so man nicht um seinen besonderen, etwas abseits gelegenen Standort weiß, der jedoch lediglich 200 Meter vom Linzer Hauptplatz entfernt ist. Anrainer*innen gehen an uns vorüber, winken uns zu, wechseln ein paar Worte mit Alina und Thomas und gehen wieder ihrer Wege. Kund*innen kommen und gehen. Stöbern ein wenig durch das kleine Geschäft, flanieren an der Auslage vorbei. Thomas berät jeden Gast. Man hat den Eindruck, Alina und Thomas haben hier einen Ort geschaffen, der dazu einlädt, es ein wenig langsamer angehen zu lassen. Anfangs hätten Kund*innen zwar explizit nach typisch österreichischen Produkten gefragt, wie mir Thomas erzählt, da die Assoziation A / T Store dies nahelegen könnte. Doch handelt es sich um die Initialen des Paares, die in schlichtem schwarz auf weiß die Fassade zieren. Jedes sorgsam ausgewählte Element erzählt von Schlichtheit und Stilbewusstsein, die eine besondere Atmosphäre kreieren und sich auch im Erscheinungsbild von Alina und Thomas widerspiegeln, die selbst ausschließlich Kleidungsstücke aus ihrem eigenen Sortiment tragen.
Ein bewusster Umgang mit Ressourcen und Materialien scheint den beiden in die Wiege gelegt worden zu sein. Die gebürtige Freistädterin Alina und der in Bad Leonfelden groß gewordene Thomas bezeichnen sich selbst gerne als „Landkinder“, die in einem Umfeld aufwachsen durften, wo Nachhaltigkeit und ein bewusster Umgang mit der Natur zur Lebenseinstellung wurde. Dort durfte sich auch das Musische und Künstlerische entfalten und beide konnten eine Passion für das „über den Tellerrand schauen“ entwickeln, eine Gemeinsamkeit, die rückblickend eine erste Spur darstellt, die zum gemeinsamen Projekt führte.
„Entweder wir werden immer nur darüber reden, oder wir machen jetzt Nägel mit Köpfen.“ (Thomas)
Ihre gemeinsame Leidenschaft für das Reisen war es nämlich, die sie auf die Idee gebracht hatte, selber einen Laden zu eröffnen. Auf ihren zahlreichen Erkundungstouren waren es immer die abgelegenen Seitenstraßen mit den vielfältigen kleinen Läden, die Alina und Thomas in den Bann gezogen hatten. Sie erzählen von ihrer eigenen Faszination für das Schöne und die Eleganz, die ihnen auf ihren Reisen begegnete und sich sowohl in Seifen, Tees, Einrichtungsgegenständen wie auch in Mode materialisieren könne. Diese kleinen Kostbarkeiten sind es wohl, die Alina und Thomas zum Staunen bringen, da sie stets von einem mehr an Bedeutung erzählen und die Persönlichkeit eines Menschen zu unterstreichen wissen. Thomas erinnert sich noch genau an den Moment als Alina und er wieder von der Idee eines eigenen Shops schwärmten und beide daraufhin beschlossen: „Entweder wir werden immer nur darüber reden, oder wir machen jetzt Nägel mit Köpfen“, waren sich Thomas und Alina der Sache ziemlich sicher. 2015 befanden sich beide jedoch noch in fixen Anstellungsverhältnissen. Neben dem Studium der Wirtschaftspädagogik arbeitete Thomas in einem großen Unternehmen im Bereich des Recruiting und betreute an besonders hoch frequentierten Tagen bis zu 1000 Ferialarbeiter*innen und Lehrlinge bei ihrem Einstieg in die Arbeitswelt. „Ich habe wirklich gerne dort gearbeitet. Es war ein toller Job, jedoch war die Fluktuation auch hoch und am Abend wusste man nicht mehr, wer die Personen eigentlich waren, mit denen man zu tun hatte“, schildert Thomas seine Alltagserfahrungen im Großkonzern.
„Biologie ist eine große Inspirationsquelle für mich.“ (Alina)
Nach Abschluss ihres Studiums begann Alina als biomedizinische Analytikerin in einem Labor zu arbeiten, um Gewebeproben von Patientin*innen unter die Lupe zu nehmen. Bis heute ist sie an diesem für sie so spannenden Ort tätig. Mein Verwundern steht mir vermutlich ins Gesicht geschrieben, als Alina mir von ihrem Job neben dem A / T Store erzählt und zugleich betont, dass es für sie nicht den großen Kontrast darstelle, den man vermuten könnte. Denn auch im Labor gehe es um „die Liebe zum Detail und das Feingefühl. Aufmerksamkeit und Konzentrationsfähigkeit sind wichtig und die Biologie ist eine große Inspirationsquelle für mich“, betont Alina, die ihren strukturierten und routinierten Arbeitsalltag als „Anker“ betrachtet, der erst ermöglicht, ihrer Kreativität freien Lauf zu lassen. Die wirtschaftliche und finanzielle Unabhängigkeit war ihnen jedoch ein zu hohes Gut, als dass sie beide ihre Jobs aufgegeben hätten. „Thomas ist sicher der Mutigere von uns beiden, aber ich brauche die finanzielle Sicherheit“, so Alina, die ohne Thomas den Schritt in die Selbständigkeit wohl nicht gewagt hätte. Thomas Stärken umschreibt Alina mit „charmant, gelassen und bestimmt“, die den beiden während der Gründungsphase enorm zu Gute kamen. Denn als der Entschluss gefasst war, ging alles richtig schnell, wie mir die beiden erzählen. Es war zunächst ein relativ gut gehütetes Geheimnis, dass Alina und Thomas begonnen hatten, an ihrem Ladenkonzept zu arbeiten. „Wenn zu viele Menschen mitmachen, kann es oft recht schwierig werden und wir wollten, dass es für uns passt“, so Thomas, der weder Freund*innen noch Familie etwas vom A / T Store erzählte. Mit Ende August 2015 bewarben sie sich für ein Gründer*innenprogramm und träumten davon im Dezember eröffnen zu können, was aus heutiger Sicht „naiv“ gewesen sei, wie mir Thomas, der als Quereinsteiger in die Mode Branche eingestiegen ist, gesteht.
Eröffnet wurde letztendlich im April 2016 und bis dorthin besprachen und entwickelten sie alles gemeinsam. Selbst die Entwürfe für die Einrichtung in ihrem Geschäftslokal stammen von Alina und Thomas, welche in Zusammenarbeit mit einem befreundeten Kunstuniversisitätsstudenten umgesetzt werden konnten. Vom Kleiderständer bis zum Tisch – der aus einer Betonschalung, einem Abfallprodukt besteht – wurde alles von Alina und Thomas sorgfältig ausgewählt. „Natürlich war das ein hoher Zeitaufwand, aber so haben wir eine ganz andere Beziehung zu den Dingen aufbauen können“, resümiert Thomas und betont Alinas Gelassenheit, Feinsinnigkeit und ihre große Begabung im Bereich Raumdesign. „Thomas ist der Zahlen-, Daten-, Fakten-Typ, was ein großer Vorteil als Kleinunternehmer ist. Er verbindet das Organisatorische und das Soziale. Und wenn er mit einer Excel-List oder seiner To-do-Liste kommt, dann brauche ich Bilder. Denn im Gegensatz zu ihm, bin ich ein sehr visueller Typ“, fasst Alina ihre gemeinsamen Stärken und Schwerpunktsetzungen zusammen.
„Wenn Details die Marke verraten.“ (Thomas)
Alina und Thomas kennen alle Designer*innen persönlich, die im A / T Store ihre Produkte anbieten. Es sind vorwiegend europäische, kleine Labels, in deren Designs sich ein Stil des Unterstatements zeigt.
„In der Auswahl der Marken können wir nicht allen gerecht werden, und das wollen wir auch gar nicht. Wir wollen nicht die Masse ansprechen und legen nicht Wert auf etablierte oder gehypte Marken. Wir wollen bei uns selbst bleiben und können nur Produkte zeigen, wenn wir selber überzeugt davon sind“, bekräftigt Alina und war sich dessen stets bewusst, dass es in Linz, als einer relativ kleinen Stadt, herausfordernd werden könnte, sich einen Kundenstock aufzubauen.
„Die Fashionbranche ist eine der schlimmsten, die es gibt“, betont Alina drastisch, die sich selbst als „Modebefürworterin“ bezeichnet, die jedoch immer die eigene Kaufentscheidung reflektiert. Denn ihr zu Folge könne es einfach nicht sein, dass Einkaufen zum Hobby werde und plötzlich Unmengen an ungetragener Kleidungsstücke im Kasten hängen bleiben. Auch wenn das eigene Konsumverhalten von politischen Maßnahmen begleitet werden müsse, bleibe es dennoch eine individuelle Entscheidung, ob man für einen gerechten und nachhaltigen Lebensstil eintreten möchte oder eben nicht. Alina und Thomas wollen etwas zur Bewusstseinsbildung in ihrer Stadt beitragen und legen dabei den Fokus auf Achtsamkeit und Langsamkeit – und dies führt über den Bereich Konsum hinaus. Manchmal kämen Kundin*innen in den Shop um sich zu erkundigen, was es denn Neues gäbe, wie mir Alina berichtet und muss dabei schmunzeln, denn für sie seien die Produkte niemals alt. „Alles ist immer neu bei uns!“
Ich erfahre, dass sich meine Fragen nach Nachhaltigkeit und fairen Produktionsverhältnisse ihrer Produkte beinahe erübrigen, denn wie Alina betont, solle dies ohnehin „Standard“ sein, ihnen ginge es nun um Fragen des Designs und „so viele Menschen wie es gibt, so viele Designs sollte es geben“.
So wie die beiden keine klassische Rollenverteilung kennen, so wichtig ist es ihnen, dass auch die sorgsam ausgewählten Produkte in ihrem Laden diese Einstellung zum Mensch-Sein widerspiegeln. „Wir wollen die Geschlechtskonstruktionen ganz bewusst aufbrechen, in dem wir nicht klar sagen, dieses Stück ist nur für Männer oder ausschließlich für Frauen. Wir legen Wert auf Unisex und laden die Menschen ein zu nehmen, was ihnen gefällt“, so Alina.
Alina und Thomas kümmern sich in ihrem Laden nicht nur um die Vorauswahl und das Angebot der Produkte, sondern sorgen via social media auch dafür, dass Menschen die Kleidungsstücke an „echten“ Körpern präsentiert bekommen. „Wir wollen die Kleidungsstücke ehrlich inszenieren und ihnen ein Gesicht geben“, erklärt Thomas. Die beiden schlüpfen meist selbst in die Hosen, Jacken und Kleider und fertigen Fotos an. Als ehemalige Fashion Bloggerin eignete sich Alina das Handwerk der Fotografie bereits an und auch Thomas entwickelte sich zum passionierten Modefotografen, der weiß, wieviel Arbeit in einem einzig guten Bild steckt. Wann immer ich ihre Aufnahmen betrachte, dann erzählen die Bilder von einer ganz besonderen Zärtlichkeit und Vertrautheit, nun glaube ich zu erahnen, warum.
Besonders im vergangenen Jahr der Corona-Epidemie sahen sich Alina und Thomas vor große Herausforderungen gestellt und stießen nicht selten an ihre Grenzen. Wenn es auch die vielen motivierenden und lieben Gespräche von Kund*innen waren, die ihnen das Durchhalten erleichterten, so gab es mehrfach Stimmen, die ihnen das Einrichten eines Online-Shops ans Herz legten. Es war ein langes Überlegen und Ringen um die richtige Entscheidung, bis sich die beiden gegen den online Verkauf entschieden hatten, da sie es nicht mit ihren Wertmaßstäben in Einklang bringen konnten: „Slow Fashion kann man nicht gerecht werden, wenn man sich für den online Handel einsetzt. Wenn ich mich online zum Kaffeetrinken verabrede, ist auch das nie dasselbe Gefühl, wie ein analoges Sich-Begegnen-Können.“ Den beiden ist und bleibt es ein Anliegen, dass Kontakt stattfinden kann, dass die Menschen ihren Laden betreten und sie sich Zeit nehmen um zu schauen, zu probieren, sich beraten zu lassen, um sich bewusst für ein Produkt zu entscheiden, denn nur so entginge man der Gefahr, etwas zu kaufen, das man letztendlich wieder zurückschicken müsse, und dies wieder unnötige Ressourcen verschlingen würde.
Auf meine letzte Frage nach etwaigen Zukunftsvisionen haben die beiden sogleich eine Vorstellung für ihren Laden. „Ein größerer Laden wäre sehr fein. Denn der Raum ist relativ klein und manchmal traut man sich kaum zu sprechen. Grundsätzlich hoffen wir, dass wir in Linz noch mehr Anklang finden.“
Alina und Thomas in der Schnellantworterunde
Was ist dir heilig?
Thomas: “Meine Geburtstags-Ruhe”
Was lässt dich staunen?
Alina: “die Natur, Spaziergänge im Frühling, dann wenn alles zu blühen beginnt”
Worauf hoffst du?
Thomas: “Auf Glück und Zufriedenheit. Ich schaue eigentlich nicht so weit nach vorne. Es geht um das Jetzt.”
Wofür lohnt es sich zu kämpfen?
Thomas: “Für alles, was dich glücklich macht"!”
Was bedeutet für dich Qualität?
Alina: “Zeit für mich zu finden. Das hat einen hohen Wert für mich.”
Was bedeutet es für dich, einem Wunder zu begegnen?
Thomas: “Jeder Tag, den man gut abschließen kann, ist ein Wunder.”
Alina: “Wenn ich an Wunder denke, dann denke ich an Thomas, der einen schweren Unfall überlebt hat. Dies hat meine Sicht auf den Alltag gänzlich verändert.”
Ich bedanke mich für das nette Gespräch mit zwei Menschen, die mich faszinieren ob ihrer konsequenten Haltungen den eigenen Prinzipien treu zu bleiben. Denn dies erfordert Mut. Ich bin fasziniert von der Überzeugung, alles schaffen zu können mit einem Partner, einer Partnerin an der Seite, der/die einem das Vertrauen schenkt, nichts verlieren zu können, sondern nur zu gewinnen, so man es wagt, gemeinsam den eigenen Träumen zu folgen. Es lässt mich staunen, mit welch zärtlichen Blick man eine Zelle betrachten kann, die einem zur Quelle wird für das Schöne sowie für das Zerbrechliche im Alltag. Dass Mode in Harmonie mit Natur und ihren erschöpflichen Ressourcen gebracht werden kann, dies stellen die beiden für mich am eigenen Leibe dar. Wie wir uns kleiden, erzählt wohl so einiges über unser Mensch-Sein und kann über den funktionalen Aspekt von Bekleidung hinaus, Wertschätzung und Sorgsamkeit gegenüber der Schöpfung, dessen Teil wir selber sind, in den Mittelpunkt der Aufmerksamkeit rücken. Ich habe Respekt vor der Vision der beiden, inmitten einer Welt des schnellen Konsums, einen Ort wohltuender Unterbrechung schaffen zu wollen, der die Frage an mich heranträgt: Was brauche ich wirklich um gut leben zu können? Worauf lohnt es sich zu verzichten, um anderen ein ebensolch menschenwürdiges Leben zu ermöglichen? Womöglich sind es ein paar wenige materielle wie immaterielle Dinge, die es benötigt um zufrieden leben zu können. Darüber denke ich gerne nach. Mir ist bewusst, Verzicht muss man sich leisten können und stellt ein Privileg unserer westlichen Zivilisation dar, das Verantwortung bedeutet und Fragen nach der Verteilung von Fülle nach sich zieht. Ich bin dankbar dafür, dass es so vielfältige Orte, mit so unterschiedlich inspirierenden Menschen in meiner Stadt gibt, die immer wieder Fragen nach dem, was mich unbedingt angeht, wachhalten.
„Alle Weisheit ist langsam“ sagte der Schriftsteller Christian Morgenstern, und denke dabei dankbar an die Offenheit und die Zeit, die mir Alina und Thomas schenkten.