Eine Wange hinhalten
Mitten im Nebel stand ich also und ließ die kleinen Tröpfchen sich auf mein Gesicht legen. Ich ließ mich streicheln vom Nebel, mit dem ich doch so sehr zu kämpfen habe. Seit Tagen. Seit Wochen. Seit rumorten Zeit. Der Nebel in seiner trüben und unbegreifbaren Beschaffenheit, fordert mich heraus. In seiner Fähigkeit sich einzunisten. Platz zu nehmen. Raum zu greifen. In seiner Freiheit, sich in Bahnen drüber zu legen über Gebäuden, die Stadt mit ihren vielen Gesichtern, um vorzudringen in jeden noch so kleinen Riss. Die Risse waren immer mein. Nun sollte ich sie teilen? Ich wollte sei frei und leer. Durchlässig für Licht und Luft. Unbesetzt. Vor 6 Monaten erschien mir meine begrenzte Welt wie unter einer Glasglocke. Es war eine gläserne Wand, schützende Wand, die doch Durchsicht erlaubte. Manches erschien in anderem Licht. Manchmal brach das Licht den einen Gedanken. Die gläserne Wand war da. Und war mir zur Reibungsfläche geworden. Sie war da. War nicht nur Spiegel, sondern auch Bruchfläche. Begrenzte meinen Radius, doch erlaubte sie mir, mich entlang zu tasten an ihrer Mauer. Sie wünschte meinen Kontakt. Wo war die Grenze? Außen? Innen? Wo nahm ich Platz? Manchmal lehnte ich mich an. Manchmal hämmerte ich dagegen. Sie war Grenze, mit der ich doch zu ringen wusste. Die mir erlaubte, Wörter an ihre Scheiben zu kleben. Sie zu berühren in ihrer glatten Kühle. Nun erscheint mir diese Wand allmählich abhanden zu kommen, sie wandelt sich zum sich verflüssigenden Etwas, das jeder Kontur ihre Eindeutigkeit nimmt. Das Gefühl wandelt sich hindurch. Meine Lupen-Augen sind belegt. Ob der Nebel mit mir spielt? Das ist alles andere als charmant, denn ich mache ihn verantwortlich! Dafür, dass mir Buchstaben im Halse stecken, und sich der Atem längst beschwert. Seit Tagen oder Wochen, ja, seit diesen Nebeltagen, so genau weiß ich es gar nicht mehr, stecken mir Worte im Hals und verstopfen mir die Atemwege. So fühlt es sich an. Als hätten sich Buchstaben verirrt. Oder wären verwirrt. Oder wollten protestieren. Als würden sie sich oder etwas suchen, und wüssten nicht genau, wo sie beginnen sollten. Als wären sie verschreckt und zurückhaltend, beim Versuch sich zu sammeln. Als hätten sie scheu davor, mit dem Anfang anzufangen, und vergessen, wie man mit dem Beginnen beginnt. Wie man wichtig schreibt und wahr buchstabiert. Das Fehlen und Das Vermissen skizziert. Sind das denn die richtigen Wörter? Braucht es eine neue Erzählung? Sind sie etwa zu spät dran?
Momentan kriechen sie allein umher, wollen bleiben, wo sie sind, und müssen sich doch gegenseitig halten. Dann und wann gelingt es ihnen, sich einen Anker zu basteln. Das A gibt dem N die Hand und gemeinsam legen sie sich quer. Dort richten sie sich ein, als hätten sie ein Anrecht auf Winterschlaf. Der Atem tut sich schwer mit den Worten, die beschlossen haben, sich zu verkeilen auf engstem Raum. Fehlt ihnen der Mut ihre Wahrheit zu erproben? Das geht einfach nicht allein. Ich brauche ein Gesicht. Das mich beim Namen nennt.
Der Atem sehnt sich an den klanglosen Worten vorbei, die im Geheimen doch darauf warten, dass das Seufzen endlich zum Sturm werde, der sie mitnimmt, Buchstabe um Buchstabe an der Hand, um sie rauszuschicken. Entlang des dunklen Schachtes. Vor den Eingang. Hinaus mit ihnen. Zunächst ganz leis. Ein Wort um das Andere. Auf die Bühne. Ab zur Probe. Jetzt spielt das Stück.
So stand ich also im Nebel ... Atemlos und stumm. Unbemerkt begann ich zu horchen. Ich hatte nichts, als das und merkte erst im Nachhinein, wieviel das eigentlich war. Ich begann mich zu positionieren. Ich stand still. Mich dem zu stellen, was mich umgab. Dem Nebel und meiner Sprachlosigkeit. Jetzt. War ich aus- und aufgerichtet. Auf Naheliegendes und Fernes. Auf Hohes und Tiefes. Auf Wellen und Moos. Wieviele Klänge man doch gleichzeitig hören kann? Wie ein einziger Vogel einen Raum zu füllen weiß? Nebenbei ereignete sich das Selbstverständliche. Mein Atem ward mir unaufdringlich geworden. Obwohl kein Wort gesprochen war.
So begann ich dem Nebel, dem sanften Hauchen mein Gesicht anzubieten. Und er nahm Notiz von mir. Etwas kam mir entgegen, schenkte mir ein situiertes Gefühl meiner eigenen Kontur. Welche Tropfen von innen oder außen kamen, das spielte keine Rolle mehr.
Es gibt sie, diese Hin-Gabe-Momente. Mitten im Nebel. Kein Gestern. Kein Morgen. Was ist, ist der eine Augenblick. Spüre. Horch. Lass dich ein. Fühle, dass du fühlst. So wie deine Nächste. Lass zu, was du beweinst. Du bist verletzlich. Ich bin es auch. Trau deinen Augen. Deinem Gespür. Sei freundlich zu dir und dem Nebel. Ich weiß, dass etwas fehlt. Biet ihm deine Sorge an. Halt ihm deine Wange hin. Lass dich führen. Spüre, was dich trägt. Manchmal hilft der Boden weich zu werden, wenn Gesichter beginnen zu erhärten.
Ich denke an Donna Haraways Reflexion und Diffraktion und die Notwendigkeit Geschichten zu teilen. Der Spiegel wirft mir ein Bild zurück. Etwas, das ich glaube zu kennen. Etwas, das mir ähnlich erscheint. Der Nebel als Geflecht aus Hindernissen und Ereignissen, führt zur Abweichung gewohnter Fragen, Gebärden und Formen. Hinterlässt unweigerlich neue Spuren.
ANFANG steht dort in Lettern auf einem Baum, direkt vor meiner Nase. Fang An.
Ich verbeuge mich vor diesem Bild. Ich bin dankbar, wie es atmet. In dir und auch in mir. Ich wünsche dir Offenheit und Weite. Eine unaufdringliche Eindringlichkeit eines gefüllten Augenblickes.