DIE BETRACHTERIN - Texte der zweiten Runde. AVE MARIA Fenster
Treu, katholisch, tugendhaft
Im breiten Spektrum der Frauenzeitschriften waren jene in katholischer Eigentümerschaft an der Schwelle 19./20. Jahrhundert von den Auflagen her groß, von den Fortschrittsgedanken her klein. Die „Österreichische Frauenwelt“ oder die „Österreichische Frauenzeitung“ legten die Frauen auf ihre Wirkung in Haus und Familie fest und wiesen ihnen Caritas und Bildung zu. Emanzipatorische Bestrebungen wie das Frauenwahlrecht fanden erst spät und da nur als Aufruf, christlich-sozial zu wählen, Eingang in die von katholischen Verbänden verlegten Blätter. In der Zwischenkriegszeit erschienen in fast allen Bundesländern eigene katholische Vereinszeitschriften für Frauen, in der Diözese Linz beispielsweise das „Elisabethblatt“. Die große Stärke dieser Zeitschriften war ihre tiefe Verankerung im ländlichen Raum. Daran konnte auch die 1946 gegründete Zeitschrift „Licht des Lebens“, später „Welt der Frau“, anknüpfen. Sie stand bis 2020 im Alleineigentum des Katholischen Frauenwerkes. Die Redaktion führte ihre Leserinnenschaft behutsam, aber kontinuierlich an ein modernes, emanzipiertes Frauenbild heran, ohne die traditionellen Werte über Bord zu werfen. Der Spagat zwischen einem konservativ gebliebenen Frauenbild der offiziellen Kirche und dem neuen Selbstverständnis auch vieler katholischer Frauen wurde tendenziell immer größer. Mit dem Erodieren des katholischen Milieus selbst im ländlichen Raum verändert sich die Bedeutung katholischer Frauenzeitschriften gerade noch einmal. Sofern sie noch existieren, werden sie Vorreiterinnen einer neuen Diversity, von noch katholisch bis zu nicht mehr religiös, von konfessionell bis suchend, von freigeistig bis gesellschaftskritisch.
Christine Haiden, langjährige Chefredakteurin „Welt der Frauen“, Autorin, Journalistin, Linz
Von Veilchen, Rosen und Disteln
„Sei wie das Veilchen im Moose, sittsam, bescheiden und rein, und nicht wie die stolze Rose, die immer bewundert will sein“.
Dieser Reim aus dem angehenden 20. Jahrhundert, einer Zeit, als eine gebildete Frau, Professorin sogar, in einem Kirchenfenster als demütig kniende, bescheidene Bauersfrau dargestellt wurde, ihre Klugheit, ihren Erfolg verbergend, wurde bis in die 1980er Jahre Generationen von jungen Mädchen ins Poesiealbum geschrieben.
Traditionelle Frauenbilder. Langlebig. Schwer aufzubrechen. Auch wenn sich vordergründig viel geändert hat. Sollen wir im 21. Jahrhundert doch heute alle Rosen sein. Unabhängig. Erfolgreich. Selbstbewusst. Erwerbstätig. Aber hat sich unter der Oberfläche wirklich viel verändert?
Ist nicht Sorgearbeit immer noch überwiegend weiblich und schlecht oder überhaupt nicht bezahlt? Sind es nicht meist Frauen, die in den Familien den Hauptanteil der Care-Arbeit übernehmen, auch wenn sie berufstätig sind? Frauen, die deshalb statistisch oft Teilzeit arbeiten und später von Altersarmut bedroht sind? Weil es anstrengend ist, Veilchen und Rose gleichzeitig zu sein? Sind sie nicht selbst daran schuld? Weil sie es ja aus Fürsorge tun? Aus Bescheidenheit? Als Veilchen eben?
Als ob es genuin weiblich ist, eigene Bedürfnisse immer hintanzustellen. Als ob es nicht zentraler Pfeiler unserer erwerbsarbeitszentrierten Gesellschaft ist, eine Bevölkerungshälfte unentgeltlich im Verborgenen jene Arbeit leisten zu lassen, die unser Wirtschaftssystem überhaupt erst aufrechterhält. Deklariert als private Liebeshandlung, die weibliche Sorgearbeit mit Poesiealbum-Sprüchen entwertet und unsichtbar macht.
Stellen wir daher endlich die weibliche Veilchenleistung der Care-Arbeit dahin, wo sie hingehört. Ins Rampenlicht der Rosen. Für eine geschlechtergerechte Umverteilung, gesellschaftliche Aufwertung und ebenbürtige Entlohnung. Vielleicht können dann alle Menschen gemeinsam Disteln sein. Oder was auch immer sie sein möchten.
Helena Srubar, Historikerin, Autorin, Linz
Bäuerin oder Professorin? Spielt das eine „Rolle“?
Unter den Schutz Mariens begeben sich die Leser:innen der Linzer Dombauzeitschrift „Ave Maria“, die von dem österreichischen Theologen und Domkapitular Friedrich Pesendorfer gegründet und herausgegeben wurde. Während im oberen Bildfeld Engel die „kleinen Leser:innen“ zu Maria mit dem Jesuskind führen, repräsentieren die „erwachsenen Leser:innen“ im unteren Bildfeld die verschiedenen Stände der Gesellschaft, zu denen 1914, als das Bildfenster „komponiert wurde“, die Geistlichkeit, das Bürgertum, die Arbeiterschaft und der Bauernstand gehörten.
Die „Rollen“, die die hier Dargestellten einnehmen, entsprechen aber nicht zwangsläufig ihrem tatsächlichen Stand. So schlüpft etwa Gabriele Beutel – obgleich als Professorin aus Mödling bezeichnet – in das Kostüm einer oberösterreichischen Bäuerin. In ihrer Haltung am linken äußeren Bildrand, „an unterster Position“ sitzend, verkörpert sie der ikonographischen Bildtradition entsprechend eine klassische „Staffagefigur“, wie man sie bei Bildern der Rosenkranzmadonna – um einen solchen Typus handelt es sich bei diesem Fenster – vorfindet. Im Unterschied zu diesen häufig in Rückenansicht, „gesichtslos“ und anonymisiert wiedergegebenen Figuren, kann die hier Dargestellte aufgrund ihrer porträthaften Züge konkret identifiziert werden. Trotz der „tradierten Rolle“, die ihr die Bildkomposition vorgibt, wird ihr zugleich eine neue, moderne Form der Individualität zugesprochen, wie sie ihrer gesellschaftlichen Position als Professorin besser gerecht wird.
In Hinblick auf diese unterschiedlichen Bezugsebenen steht das Fenster unmittelbar an der Schwelle der alten zu einer neuen Weltordnung, in der insbesondere die Frauen erst ihre „standesgemäßen Rollen“ finden und definieren mussten.
Christina Wais, Projekt Corpus Vitrearum am Institut für die Erforschung der Habsburgermonarchie und des Balkanraumes an der Österreichischen Akademie der Wissenschaften, Wien