DIE BETRACHTERIN - Texte der zweiten Runde. Mosaik-Salome
Der Schwarze Sklave im Mariendom
Die Bildszene, in der Salome der Kopf des Johannes des Täufers auf einer Schale von einer Person überreicht wird, hat Tradition in der abendländischen Kunstgeschichte. Ungewöhnlich ist jedoch, dass es sich bei dieser Assistenzfigur um einen Diener mit dunkler Körperfarbe handelt. Der Kontrast zwischen Salome und dem Pagen im Mosaik rechts neben der Votivkapelle könnte nicht größer sein: Eine namentlich bekannte, hell ausgeführte und stehende weibliche Figur steht einer anonymen, dunkel dargestellten männlichen Figur gegenüber, deren Kniefall und abgewandtes Haupt als Gesten der Demut und Unterwerfung deutbar sind. Im kirchlichen Bildprogramm findet sich mit den Täuflingen des Franz Xaver im Priesterfenster der südwestlichen Eckkapelle eine weitere Szene mit Schwarzen Menschen.
Visuelle Repräsentationen von Afrikaner:innen in der europäischen Malerei und Plastik sind unmittelbar mit der Geschichte des Kolonialismus und der Missionierung, dem transatlantischen Sklavenhandel und unterschiedlichen Rassendiskursen verknüpft. So wurde etwa das Motiv des „Mohrenpagen“ im Barock als exotische Kulisse geschätzt. Die Kodierung von Körperfarben und Blickregimes ist jedoch komplexer: „Schwarzsein“ verweist nicht nur auf ethnische Differenz, sondern ermöglicht gleicherweise auch die Konstruktion und Konstitution von „Weißsein“.
In diesem Kontext lässt sich auch die kontrastreiche und zugleich komplementäre Beziehung zwischen Salome und dem Schwarzen Sklaven betrachten. Als Figuren der Alterität verkörpern sie spezifische Rollenbilder und Projektionsflächen, die zwischen Grausamkeit, Erotik, Abjektion und Exotismus oszillieren. Insofern kann die Darstellung beider Personen im Mosaik für die stereotype Konstruiertheit von geschlechtlicher und kultureller Anders- und Fremdheit sensibilisieren. Es sind insbesondere de- und postkoloniale Perspektiven, die kritische Bildlektüren anregen und über Herrschaftsansprüche, Machtpolitik, Hierarchien und Ungleichheitsstrukturen in Geschichte und Gegenwart nachdenken lassen.
Julia Allerstorfer-Hertel, Assistenz-Professorin am Institut für Geschichte und Theorie der Kunst, Katholische Privat-Universität Linz
Zwischen Muttertöchterchen und Femme fatale: Salome und ihre Geschichte
Salome, die schöne Tochter der Herodias, verführte in der Überlieferung des Neuen Testaments (Mt 14, 1–12) ihren Stiefvater, den König Herodes, mit einem Tanz dazu, Johannes den Täufer enthaupten zu lassen. Handelte die biblische Salome noch als folgsame Tochter auf Geheiß ihrer Mutter, wurde sie im 19. Jahrhundert zur Femme fatale (verhängnisvolle Frau) umgedeutet, welche die Männer durch ihre Verführungskunst ins Verderben stürzt. Als eine solche Projektionsfläche männlicher Ängste erscheint sie beispielsweise in Oscar Wildes Drama „Salome“ (1891) und Richard Strauss‘ gleichnamiger Oper (1905). Darin fordert sie von Herodes den Kopf des Johannes, als Rache für dessen Zurückweisung. Ihr Stiefvater erfüllt ihr den Wunsch zwar widerwillig, lässt sie schlussendlich aber selbst hinrichten.
Auch zahlreiche Maler im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert wie Gustave Moreau, Lovis Corinth und Franz von Stuck setzten die betörend-verhängnisvolle Salome eindrucksvoll in Szene. Anders als in den literarisch-musikalischen Werken, in denen sie die Männer ebenso wie sich selbst zugrunde richtet, verewigt sie die bildende Kunst als sinnliche Verführerin im Augenblick ihres Triumphs mit dem Kopf des Johannes vor sich. In zeitgenössischen Interpretationen erfährt Salome erneut eine Umdeutung. Dabei wird sie in der Inszenierung von Romeo Castellucci (2019) als zerrissenes Individuum zwischen Trieb und Moral, Glaube und Angst sowie Macht und Ohnmacht im Kontext gesellschaftlicher Zwänge interpretiert. Diese Wandelbarkeit macht Salome zu einer ebenso interessanten wie ambivalenten Kunstfigur, die im Spannungsfeld von Erotik, Macht und Verhängnis gegen bis heute weitverbreitete, patriarchalische Moralvorstellungen und Ordnungsstrukturen aufbegehrt.
Kerstin Borchhardt, Assistenz-Professorin am Institut für Geschichte und Theorie der Kunst, Katholische Privat-Universität Linz
Salome: Eine choreographische Skizze
Tanznotation zu Salome ein Flirren, Choreographie: Rose Breuss 2008.
Im Dickicht von Symbolen, Metaphern und Mythologemen tanzt Salome die Zeiten hindurch. Im Einkreisen und Nachzeichnen der Themen und Motive entsteht ein Gewirr von Schnittpunkten, Überschneidungen und markanten Ausschnitten.
Als babylonische Liebesgöttin legt sie ihre sieben Schleier ab, um ihren Geliebten aus der Unterwelt zu befreien. In den Evangelien tanzt sie auf Anweisung der Mutter, bei Heine spukt sie im Heer der Nachtfrauen, beugt sich auf dem Kirchenportal von Rouen weit nach hinten. Oscar Wildes Salome begehrt den weißen Mund und das schwarze Haar des Jochanaan. Flauberts Hérodias rollt den Bauch wie eine See und lässt ihre Brüste zittern. In Massenets Oper sterben Salomé und Jean zusammen aus Liebe und bei Mallarmé verweigert sich Hérodiade. Die femme fatale wird eine femme fragile. Hedwig Reicher stellt Salome 1903 dar: „Ich will nicht tanzen, Tetrarch!“. Und die Tänzerin Valeska Gert tanzt die Salome zu miauenden Katzen mit einem imaginären Johanneskopf .............................
Die kleinste, invariable Einheit des opulenten Salome-Mythos ist der abgetrennte Kopf, der Kopf ohne Körper. Die Stelle der Abtrennung sind die beiden obersten Halswirbel. Sie ermöglichen zwei kleine Bewegungen: Ja und Nein. Leben und Tod. Der kleinste Bewegungsraum des Menschen mit der größten (gestischen) Wirkkraft.
Rose Breuss, Universitäts-Professorin am Institut of Dance Arts, Anton Bruckner Privatuniversität, Linz