Das Wunder in der Wolke
Ich möchte eine Geschichte erzählen. Auch wenn sie sehr persönlich ist, teile ich sie, weil ich glaube, dass sie tröstend, aber auch ermutigend sein kann, für andere, die ähnliches erlebt haben und weil man generell viel mehr über die vielen Wunder in den Wolken, andere nennen sie Sternenkinder, reden sollte.
Triggerwarnung: Fehlgeburt, Verlust eines Kindes.
Um den ganz persönlichen Rahmen zu schützen, kürze ich die Namen der Kinder ab.
Hier ist meine Geschichte:
Als ich circa in der 11. Schwangerschaftswoche die Zwillingsschwester meiner lebend geborenen Tochter P. verloren habe, habe ich mir vorgenommen offen mit dem Erlebten umzugehen, auch weil ich in der Verarbeitung dieser Erfahrung mitbekommen habe, wie viele Frauen ähnliches durchmachen und wie wenig wiederum darüber gesprochen wird. So habe ich in meinem Umfeld deutlich artikuliert, dass ich um dieses sehr früh verstorbene Baby, das sich in meinem Bauch wie eine Wolke aufgelöst hat, trauere. Und ich habe mir vor allem vorgenommen, mit P. offen darüber zu reden, wenn denn die Zeit dafür da ist.
Vor ein paar Tagen war es so weit und davon möchte ich erzählen:
P. – und das ist als Theologinnentochter irgendwie amüsant - mag keine Kirchen. Umso mehr mag sie aber Friedhöfe. Sie geht liebend gern mit mir oder ihrer Oma durch die Gräberreihen und lässt sich die Namen von den – ihr fremden – Verstorbenen vorlesen. Letztens waren wir wandern und am Rückweg kamen wir bei einem Friedhof vorbei. P. wollte rein, es ist ein besonders schöner Friedhof, mit Aussicht usw. Wie immer sind wir durch die Gräberreihen spaziert. Zwischen den Urnengräbern haben wir schließlich einen besonderen Ort entdeckt. Ein Gedenkort für frühverstorbene Kinder.
P. hat nachgefragt, was bzw. für wen dieser Ort sei. Ich hab es ihr erklärt, dass es Kinder gibt, die bereits im Bauch der Mama sterben, dass man oft nicht weiß, warum das so ist und dass das vielen Frauen passiert. Dass aber auch ganz oft alles gut geht, wenn eine Frau ein Baby erwartet.
Daraufhin schaut sie mich an und fragt: „Und du?“
Kurzes Schweigen, dann frage ich nach: „Du meinst, ob mir so was auch passiert ist?“
Sie: „Ja?“
Erst zögere ich, ob des Ortes, an dem wir stehen, andererseits kann es wohl keinen passenderen geben. Dann erzähle ich P. von ihrer Zwillingsschwester, die mit ihr gemeinsam ein paar Wochen in meinem Bauch gelebt hat. Dass S. aber irgendwann gestorben ist und dann nur mehr eine Wolke von ihr zu sehen war und dass P. danach die meiste Zeit alleine im Bauch war.
Ich erinnere P. an ihre eigene Erzählung, an der sie mich oft teilhaben lässt und die ich irrsinnig gerne habe. P. meint nämlich, dass die Kinder ihre Mamas (und auch Papas) ganz genau aussuchen, bevor sie in den Bauch der Mama kommen. Als Wolke schweben sie am Himmel und überlegen, zu wem sie in den Bauch schlüpfen wollen. Ich sage P., dass ich glaube, dass S. einfach wieder in ihre Wolke zurückkehren wollte und von dort auf uns herunterschaut, bei und mit uns ist.
P. blickt in den Himmel, dort sind große und kleine fluffige Wolken zu sehen. Sie findet eine kleine, zeigt hin und sagt: „Dort oben ist S.!“
Wir sinnieren weiter, verlassen den Friedhof und fahren heim. Reden von allem möglichen anderen.
Am Abend vor dem Einschlafen fragt P. nochmal ganz unvermittelt: „Mama, hast du das gespürt, als S. weg ist?“ Ich sage nein und erkläre ihr wie ich von S. Tod oder eigentlich Verschwinden erfahren habe und von der Wolke die danach nur mehr im Bauch zu sehen war.
Darauf sagt P.: „Weißt du, da ist sie noch immer, die wollte nicht weg, sie hat sich nämlich die allerschönste Mama ausgesucht! Und dort wollte sie bleiben.“
Ich sage: „Ach das ist schön...“
P. sagt mit Nachdruck: „WIRKLICH! Das IST so!“
Ich antworte: „Ich glaube dir. Das ist WIRKLICH schön.“ Und lächle, freue mich über das Wunder in der Wolke, für das mir meine Tochter die Augen geöffnet hat.
Melanie Wurzer