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Hoffnung (in) der Seifenblase

Hoffnung (in) der Seifenblase

Eigentümlich mutet dieser Moment des Schreibens an, der sich erinnernd, erhoffend einfindet im „Jetzt“ der Zeit, der sich mehr als Transitus zeigt als dass er Anfangs- oder Endpunkt wäre. Was anfanghaft eingetreten sein wird, wird sich zeigen, im Moment des Erscheinens – dieses Textes (im gfk Magazin #1 - Gesellschaft für Kulturpolitik OÖ - mit dem Jahresthema “Danach”. Eine Frage der Kultur).
Wie lässt sich „Jetzt“ sprechen von einem möglichen „Danach“, das sich eines „Davor“ nicht entledigt haben darf, um zu retten, was verheißen ist? Braucht es neue Berührbarkeiten, die die Schmerzlichkeit wach und etwas/sich selbst dem Vergessen entgegenhalten können? Wie lässt sich das Unabgegoltene des Vergangenen bewahren und performativ wandeln in sein jeweiliges „Danach“? Wer sind die Akteur*innen, die ein Bewusstsein für die fragilen Passagen unseres Daseins schulen?
So wie das Wagnis, das Unbedingte zu bedenken, jeder/-m offensteht, so suche auch ich als Theologin, mich als „stille Zeugin“ einzufinden, dort, wo Menschen ver-suchen ihre Hoffnung Gestalt werden zu lassen.
Vor einiger Zeit legte mir eine von mir geschätzte Performance-Künstlerin eine Installation ans Herz, die mich in meiner Suche nach einer sprachlichen Annäherung an das Unbedingte, wie an leibliche Erfahrungsdimensionen von Hoffnungssymbolen begleitet. Der künstlerische Zugang dient mir nicht als Illustration im Nachdenken über ein „Danach“ in theologischer Hinsicht, sondern stellt einen Ausgangspunkt christlicher Hoffnungsrede dar. Die Eröffnung eines Raumes, der ein berührbares „Jetzt“ sich ereignen lässt, um ein mögliches „Danach“ erst hervorzubringen.

Fasziniert vom Seifenblasenregen betreten die Besucher*innen den Raum, sie greifen nach den fragilen Formen, lassen die Blasen auf ihren Gesichtern zerplatzen. Spielende Kinder laufen den Seifenblasen nach, um sie zu fangen, zu halten. Ausgestreckte Finger tanzen. Seifenblasen auch. Besucher*innen werden zu aktiven Akteur*innen dieses Spiels und gelangen erst nach Durchschreiten des Raumes zum „Deutewort“ der Künstlerin.
Die Substanz der Blase besteht aus Leichenwaschwasser. Wasser aus Waschungen von getöteten, oft unidentifizierten Körpern, die in den Leichenschauhäusern mexikanischer Großstädte landen. Teresa Margolles – Künstlerin und Gerichtsmedizinerin – folgt in ihrer Installation „En el aire“ (2003)[1] einem „forensischen und poetischen“[2] Interesse an den getöteten, abwesend anwesenden Körpern in ihrer „vergänglichen, politischen und sozialen Dimension“[3], und lässt im Moment der Berührung eine „unvorhergesehene Beziehung“ (Jaques Rancière) entstehen. Es ist ein zärtlicher, eruptiver Erfahrungsraum, der mehr als unter die Haut geht und das Vermissen unschuldig zu Tode Gekommener sehr nahe rücken lässt, das Verdrängte, die Vergessenen von Systemen sichtbar macht, sowie die Liebe zur Sprache bringt, die nach Gerechtigkeit schreit. Die Dialektik der Berührung, im Sinne einer Sehnsucht nach Nähe und Angst vor eigener Verletzlichkeit, prägt unsere gegenwärtige kollektive Existenz-, Denk-, Empfindungsweise. Vormals Unsichtbares wird sichtbar, droht, sich im nächsten Augenblick zu verflüchtigen. Ließe sich Margolles Installation (auch) als eine die Kunst vermissende Kunst lesen?

En el aire“ setzt künstlerisch performativ ins Werk, wie es trifft, wenn wir Betroffene sind und inszeniert im Moment des Kontaktes mit Unaussprechlichem eine radikale Unterbrechung des Erwartbaren. Symbolisch wird eingeholt, was real nicht (mehr) eingelöst werden kann, und berührt im „Jetzt“ ein greifbares „Danach“, das zu einer „Mystik der offenen Augen“ (Dorothee Sölle) führen kann. Vielleicht kann dies einen Berührungspunkt zwischen künstlerischer Arbeit und christlicher Hoffnungsrede zeigen, eine Übereinstimmung in ihren mystisch-politischen Dimensionen, die das Unbedingte – Gott – im Alltag des „stillen Geschreis“ zu vernehmen sucht. Ursprung christlicher Hoffnung auf ein (postmortales) Danach entwächst der historischen Erfahrung himmelschreienden Leides und der Sehnsucht nach Gerechtigkeit für die Vergessenen, für jene, die sich selbst nicht mehr am Leben halten können. „Memoria passionis“ (Johann Baptist Metz) erfordert eine anamnetische, leid-sensible, wie zärtlich-empathische Rede von Gott und dem Menschen, die Vergangenes nicht verdrängt, sondern „Jetzt“ einklagt, was schmerzlich vermisst wird, und selbst dort auf neues Leben hinweist, wo Vieles verloren scheint.

Wenn es darum geht, Grenzen auszuloten und Grundrisse einer gemeinsamen Zukunft zu skizzieren, dürfen jene nicht fehlen, denen es gegeben ist, auf das Entgegenkommende künstlerisch, irritierend, ja, eschatologisch zu reagieren.

Vielleicht schreit das „Danach“ jetzt nach einer Praxis neuer Berührbarkeiten unterschiedlichster Teilnehmer*innen im Modus der „Übung“ des „Vorspiels“, so wie Nietzsche es dem Menschen der Zukunft auftrug. Vielleicht in der tastenden, wagemutigen Einübung eines emphatischen Stils, „die Welt zu bewohnen“ (Maurice Merleau-Ponty). Das Spiel kennt viele Formen. Wie das Gesellschaftsspiel die Hingabe der Spielenden durch Regeln ermöglicht, so haftet dem kindlichen Spiel ein Geschenkcharakter an, der Kraft eigener Imagination Grenzen ausloten und neue Welten entstehen lassen kann. Eine Spielform, die „Jetzt“ ein neues Austarieren von Sicherheit, Stabilität und Freiheit zur Voraussetzung hat, damit  „Danach“ mehr ist, als: „Endlich vorbei.“ Sich das Wagnis Hoffnung zuzumuten, macht jetzt einen Unterschied, wenn ein „Danach“ mehr sein soll, als die ewige Wiederkehr des Gleichen. Wer „Danach“ sagt, nimmt das Vergangene, das Verdrängte mit und spart dem „Jetzt“ den Ruf nach Gerechtigkeit und Liebe nicht aus, eine Hoffnung, die sogar so weit reicht, dass sie jenen zuteil werden kann, die wir schmerzlich vermissen.


[1] https://www.mmk.art/en/whats-on/teresa-margolles/(1.1.2021)

[2] Caduff, Corina, Arbeit am Leichnam. Gespräch mit Teresa Margolles, in: Wozu Vergänglichkeit. Elf Gespräche über Atome, Tod und schwarze Löcher, Berlin 2017, 113–126.

[3] Ebd.

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