DIE BETRACHTERIN - Texte der Runde drei. Die klugen und die törichten Jungfrauen
Die Darstellung des Mosaikblendfensters hat das Gleichnis von den zehn klugen und törichten Jungfrauen (Mt 25, 1– 3) zum Thema, die auf den Messias warten. Die Hälfte von ihnen kann ihre Pflicht den Weg zu leuchten nicht erfüllen und wird strikt ausgeschlossen. Gespendet wurde das 1910/11 errichtete Mosaik von der damals existierenden Gruppierung (junger) unverheirateter Frauen, die sich „Jungfrauen der Diözese“ nannte.
Was du heute kannst besorgen, das verschiebe nicht auf morgen!
Jesu Gleichnisse sind für provokative Irritationen gut. In ihnen kommt die Lebenswelt von Menschen einer lang vergangenen Zeit in all ihren Facetten zum Vorschein. Das macht es schwierig, die spontanen Reaktionen, die diese erfundenen Miniaturerzählungen auszulösen vermochten, auch heute noch so nachzuvollziehen. Gleichnisse waren in ihrem damaligen kulturellen Kontext oft zündend, und haben, ohne viel darüber nachzudenken, einfach „funktioniert“. Davon ist auch bei Jesu Gleichnis von den zehn Jungfrauen (Mt 25,1–13), einem besonders umstrittenen Text, auszugehen. Die Geschichte ist eingebettet in die Hochzeitsbräuche einer antiken Kultur, die sich nur mehr sehr lückenhaft rekonstruieren lassen. Vermutlich steht im Hintergrund die Heimholung der Braut in das Haus des Bräutigams. Die Perspektive der Erzählung ist daher ungewöhnlich. Ins Rampenlicht rückt nicht die Braut, sie wird nicht einmal erwähnt, sondern ihre zehn Brautjungfern. Nach antiken Vorstellungen handelt es sich um Mädchen im heiratsfähigen Alter von 13 bis 16 Jahren. Ihnen kam die besondere Funktion zu, die Bühne der Prozession für das Brautpaar auszuleuchten. Ein Brautzug im Dunkeln wäre eine Katastrophe gewesen. Das gehörte zum damaligen Weltwissen, und eine entsprechende Vorbereitung galt daher als obligatorisch. Der Text klopft – trotz seiner kulturellen Befremdlichkeit – an die Realität unserer Lebenswelt an. Eine Welt, in der es zunehmend härter wird, menschengerecht zu leben und es angebracht wäre, klug zu handeln: Act now! Ein fauler Kompromiss, wie ihn die Dummen vorschlagen, reicht nicht aus. Die Klugen wissen das. Wäre es daher nicht längst an der Zeit für einen Seitenwechsel?
Dominik Stockinger, Universitätsassistent am Institut für Bibelwissenschaft, Katholische Privat-Universität Linz und Pastoralassistent in der Pfarre Linz-St. Magdalena
Licht streut Licht
Am Ende des Gleichnisses eine Warnung an alle und ein Urteil für die törichten Jungfrauen: Die Tür bleibt zu. Nur die Frauen werden Einlass gefunden haben, die dem abstrakten Ideal entsprechen: rein und unbefleckt – eigentlich ein menschlich Unerreichtes, etwas Überhöhtes. Als wollte Er nur seinesgleichen neben sich tolerieren. Das Gleichnis von den klugen und törichten Jungfrauen legt uns auch ein existentielles Moment vor: vorbereitet sein, im Sinne von verantwortlich sein, wie ein Mensch auch nur für sich selbst denken, lesen, essen, schlafen, träumen und sterben kann. Ich-sein bedeutet: der Verantwortung nicht auskommen; und mehr noch, zur Freiheit verdammt zu sein – wobei die Verantwortung wohl älter ist als die Freiheit. Doch niemand ist ganz bei sich zu Hause. Das Sich-dem-Anderen-Zuwenden wird immer schon notwendiges Bedürfnis gewesen sein. Wer aber bin ich, wenn ich nur für mich und für die eine, die richtige Gruppe, einstehe? Die Anwesenheit des Mittellosen und Unvorbereiteten ruft mich tatsächlich in die Verpflichtung, in eine Verantwortung. Und gerade die Verwundbarkeit, die Blindheit der anderen Frauen macht die Asymmetrie der Beziehung im Gleichnis aus. Nicht Ich, nicht Wir, erst das Mensch-Sein selbst, wird uns aus dem aufgezeigten Gefälle herausgehoben haben. Im Mosaik sind die Frauen noch getrennt. Oben, die „prepared virgins“. Unten harren die Verlorenen vor der verschlossenen Tür aus. Doch stellen wir uns statt der Trennlinie im Fensterbild eine Drehachse vor und brechen damit die Hierarchie auf. Die Türe verliert ihren Sinn und Zweck. Alle sind sie nun Anwesende und die geschlossene Gesellschaft weicht der freien Beweglichkeit. Licht streut Licht.
Pamela Neuwirth arbeitet im Kontext von Radio, Archiv und Kunst, Linz
Jungfrau – eine Kindheitserinnerung
Am Anfang ist ein gütiges Gesicht. Falten, die Gebirgsschluchten sind, hat Gott in ihrer Vorstellung. Gott, das ist der, von dem die Großmutter immer erzählt. „Denn auf die Niedrigkeit seiner Magd hat er geschaut“, sagt die Großmutter einmal zu ihr. Stille. Sie schweigt. Sie versteht gar nichts. „Das ist aus der Bibel“, fügt die Großmutter schließlich hinzu. Und dann erklärt sie ihr, dass Maria, die Mutter Gottes, so eine Magd war. Eine Jungfrau nämlich. Sie begreift den Sinn des Satzes zwar nicht genau, aber dennoch: irgendwie gefällt er ihr. Denn in dem Satz geht es sinngemäß darum, dass die Letzten von Gott erhöht werden. Und zugegeben: sie wäre gern erhöht. Die anderen sagen nämlich, dass sie dumm ist. Sie verliert immer beim Skirennfahren, weil sie dabei träumt und die Bäume betrachtet, und beim Spielen fällt ihr das Geld aus der Tasche. Sie nimmt sich also den Gott der Großmutter zu Herzen. Sie denkt über ihn nach, während sie im Sommer durch die Landschaft wandert und Insekten in ihre Einzelteile zerlegt, um herauszufinden, wie ihre Flügel gemacht sind – denn sie würde so gerne fliegen. Manchmal geht sie auch allein auf den Berg hinterm Haus. Gibt es einen Gott hinter den Wolken?, fragt sie den Himmel in diesen Tagen immer wieder. Doch der Himmel gibt keine Antwort. Da sind bunte Splitter in ihrem Kopf, Farben, ja, Träume und Sehnsüchte, den Erwachsenen zum Trotz, da sind Angst und Ungewissheit und da ist der Bruder, den alle viel lieber haben, weil er stark und gut in der Schule ist und ein Held. Sie aber gehört nicht dazu, sie ist dumm, sie funktioniert nicht wie die anderen. Was bleibt ist eine weit entfernte Erinnerung: Gott als ein gütiges Gesicht. Wird er sie erhöhen?
Sophie Reyer, Lyrikerin, freischaffende Autorin für Kindertheater, promovierte Philosophin und Komponistin klassischer Musik, Wien/Köln